DIE NEUE HANDSCHRIFT.

Die neue Handschrift der Grünen schreibt den vielplakatierten Anstand plötzlich superklein, ihren eigenen Machterhalt dafür in fetten Lettern. So zumindest hatte es den Anschein, als Werner Kogler es offensichtlich kaum erwarten konnte, ob des Kurz’schen Schritts zur Seite die Regierungskrise abzublasen und freudig den Fortbestand der Koalition zu verkünden.

Was war da passiert mit Werner -„der halbe ÖVP-Vorstand müsste sich im Häf‘n treffen“-Kogler? Ein plötzlicher Sinneswandel? Angst um‘s neue schicke Büro? Panik vor den Untiefen eines erneuten Wahlkampfes?
Oder gibt’s da doch so etwas wie einen Plan B? Eine größere Grüne Strategie, mit dem Ziel sich des ungeliebten Partners und seiner Skandale zu entledigen und per Lucky Punch womöglich sogar das Kanzleramt zu entern?

GRÜNER POKER.

Die Indizien sprechen jedenfalls dafür. Mit dem Aufkommen der türkisen Kurz-Krise stieg auch der Druck auf den Juniorpartner. Insbesondere aus den eigenen Reihen und von grünen Basispolitikern wurden Rufe laut, endlich einen Schlussstrich zu ziehen. Kurz‘ Worte aus Koglers Mund, sie hätten tausendfach Applaus geerntet: „Mit einem Regierungsmitglied, gegen das polizeilich ermittelt wird, kann ich nicht länger zusammenarbeiten.“ – zum Leidwesen des Urhebers.

Keinesfalls aber wollte man dafür die Steuerreform samt eigener Prestigeprojekte „CO2-Bepreisung“ und „Klimabonus“ opfern. Waren es doch die ersten, handfesten Erfolge grüner Regierungsbeteiligung, denen mit einem Ende der Koalition eine ungewisse Zukunft gedroht hätte. Und da die Volkspartei unmissverständlich klarmachte, dass es mit ihr kein Süßes ohne Saures geben würde, hieß es zunächst einmal Pause-Taste für’s Saubermann-Image.

Die Allparteien-Sondierungsgespräche waren aus diesem Blickwinkel betrachtet also niemals wirklich ernst gemeint. Zwar hätte man im Falle des Falles auch die Notbremse ziehen und den Absprung wagen können, in erster Linie ging‘s aber wohl darum vom Koalitionspartner zumindest irgendein darstellbares Zugeständnis zu erzwingen und bis dahin die eigene Basis weitestgehend ruhig zu stellen.

DIE LUFT IST DRAUSSEN.

Spätestens nach dem erfolgten Beschluss der Steuerreform dürfte jetzt aber endgültig die Luft draußen sein. Aus Grüner Sicht scheinen kaum noch Gründe vorhanden, um weiter in der offensichtlich ungemütlichen Zwangspartnerschaft zu verharren. Vielmehr noch drohen mit jedem weiteren Tag mutmaßliche türkise Skandale auch auf die Grünen abzufärben – hängt der Fortbestand der Regierung doch maßgeblich von Kogler und Co. ab. Das aktuelle Umfragehoch mit bis zu 16 % Zustimmung zur Öko-Partei könnte damit von nur kurzer Dauer sein.
Sollte es Sebastian Kurz in der Zwischenzeit zudem sogar gelingen, sich von den vorgebrachten Anschuldigungen freizuspielen und möglicherweise als Regierungschef zurückzukehren, wäre das Momentum jedenfalls dahin.
Aus Grüner Sicht scheinen beide Szenarien wenig wünschenswert.

NEUWAHLEN IN SICHT.

Die Vermutung könnte also naheliegen, den aktuellen Vertrauensbonus in Neuwahlen retten zu wollen, um sich als Königsmacher für kommende Regierungsverhandlungen unverzichtbar aufzustellen. Mitstreiter wären schnell gefunden – mehren sich doch auch in der Opposition Stimmen für Neuwahlen, die u.a. von der SPÖ eine „Offensivstrategie“ einfordern und einen Urnengang 2022 für unerlässlich halten.
Es wäre die vierte Bundeswahl innerhalb von nur 9 Jahren. Skurril wenn man sich ansieht, wie gerne doch von „Stabilität“ geredet wird.

DREH- UND ANGELPUNKT: DAS JUSTIZRESSORT.

Dreh- und Angelpunkt sämtlicher Überlegungen dürfte jedenfalls das fest in Grüner Hand befindliche Justizministerium sein. Ressortchefin Zadic hat sich hier zwar bisher noch nicht als große Offensivspielerin hervorgetan, aber vielleicht ist gerade das auch Taktik. Steigen ihre Beliebtheitswerte doch, von einer arbeitsökonomischen Woche zur Nächsten, in für Regierungspolitiker ungeahnte Höhen.

Wer nichts sagt, gewinnt – so scheint es. Während gleichzeitig Leaks aus innersten Justizkreisen, sowie die damit versorgten Medien, den Rest erledigen.

Denn wenn das Volk zwar den Verrat liebt, nicht aber den Verräter, so gilt es beides geflissentlich zu trennen. Eine Übung, die bisher wie am Schnürchen funktioniert. Der Skandal ist da, die Hände supersauber.

EINS PLUS EINS MACHT X.

Wer nun eins uns eins zusammenzählt, dem bleiben nur noch wenige offene Fragen zu klären. Wäre es beispielsweise so falsch zu vermuten, dass innerhalb der Grünen Partei über ihre Kontakte ins Justizministerium und möglicherweise schon seit längerer Zeit ein sehr viel umfassenderes Wissen über Kurz‘ Zukunft besteht?

Ist der Ex-Kanzler womöglich schon Geschichte, ohne es selbst zu wissen?

Kalkulieren die Grünen demnach mit einem Türkis-Schwarzen Super-Gau auf Raten und wollen die Zeit bis dahin nutzen, um sich als einzig staatstragende Kraft des Landes ins kollektive Bewusstsein zu schweißen?

Es bleibt spannend.