Viele Listen sind an ihm gescheitert. Viele Initiativen schon im Ideenstadium daran zerbrochen und noch mehr wertvolle Beiträge zur politischen Debatte wegen ihm nicht gehört worden. Die Rede ist vom Fallbeil-Effekt. Also jener martialischen Metapher, die taktisches Wählen zum Nachteil kleinerer Parteien meint und ebenso unbarmherzig zuschlägt, wie das Namensgebende Hinrichtungsinstrument. Der Grund: Viele Wählerinnen und Wähler haben Angst, dass ihre Stimme verloren gehen könnte, wenn die Partei der Wahl unter den, für einen Einzug nötigen, 4% bleibt. Legen Umfragen das dann nahe, greifen viele auf ihr „Second Best Darling“ zurück, wählen das „geringste Übel“ der etablierten Parteien und sorgen so dafür, dass ihre eigentlich erste Wahl tatsächlich scheitert. Eine selbsterfüllende Prophezeiung.

DAS GEHEIMNIS DER IMPFGEGNER.

Umso größer ist da natürlich die Überraschung des Einzugs der Impfgegner-Partei (MFG) in den oberösterreichischen Landtag. Nicht nur, dass es der Gruppe rund um Steuerberater Joachim Aigner gelang, das Landesparlament zu entern, sie verwiesen auch noch die politisch etablierten NEOS auf die hinteren Plätze und scheinen immun gegen den Fallbeil-Effekt. Sogar die besten Umfragen gaben ihnen nämlich maximal die besagten 4% und mit der fix gesetzten und ebenfalls Impf-kritischen FPÖ stand auch das „Second-Best-Darling“ bereit, um potenzielle MFG-Stimmen abzucashen. Eine Gemengelage, die auch mich dazu veranlasste, die FPÖ deutlich stärker einzuschätzen und MFG an der Sperrklausel – knapp aber doch – scheitern zu sehen.
Was also ist das große Erfolgsgeheimnis der Partei, die noch vor Kurzem „niemand“ kannte?

1. POLARISIERUNG IM SINGLE ISSUE

In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit steht MFG vor allem für eines: Die Ablehnung sämtlicher Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung. Und weil dieses Thema aktuell wie keines sonst polarisiert, also klar in Befürworter und Gegner trennt, ist das Grundpotenzial ganz einfach zu umreißen: Laut aktuellen Daten des Austrian Corona Panel Project (ACPP) zeigt sich ein Viertel der Bevölkerung Impf-skeptisch, 16% lehnen die Maßnahmen sogar strikt ab. Auf Oberösterreich umgelegt, bedeutet das rd. 270.000 Menschen die potenziell „abgeholt“ werden können.

Insbesondere da es in den Augen der Impfgegner um eine Frage von Leben und Tod geht und entgegen aller wissenschaftlichen Erkenntnis die Spritze bedenklicher als das Virus sei.

2. GEHEIME WÜNSCHE UND ÄNGSTE BEDIENEN

Gleichzeitig spielt man, durch Schüren von Verschwörungstheorien und Maßnahmenprotest, ganz gezielt auf der Klaviatur geheimer Wünsche und Ängste. Stecke ich mich an? Werde ich eine Infektion überleben? Verliere ich meinen Job? Und einiges mehr spielt sich da ständig im Hinterkopf ab. Und auch wenn es viele niemals zugeben würden, so schaffen es selbst die verrücktesten Verschwörungstheorien hier anzudocken und kurioserweise für etwas Seelenheil zu sorgen. Was nämlich, wenn alles nicht stimmt? Wenn es das todbringende Virus gar nicht gibt und ich eigentlich gar keine Angst haben muss? Wenn mich Regierungen und internationale Konzerne nur an der Nase herumführen wollen, um mir das Bargeld wegzunehmen und auf meine Kosten noch mehr Profit mit Masken, Impfung und Co. zu machen? Da wird (soweit dann der geheime Wunsch) der unsichtbare, abstrakte Feind, vor dem man sich nur fürchten, einsperren und verstecken kann, dann plötzlich sehr konkret, sichtbar und auch angreifbar. Gegen weltverschwörerische Regierungen oder Konzerne lässt sich nämlich wunderbar demonstrieren, protestieren und mit MFG neuerdings auch an-wählen.

3. NIEMANDEN VERSCHRECKEN

Gleichzeitig war es für MFG auch wichtig, sich abseits der Polarisierung im Single-Issue (Corona-Maßnahmen) in kein Eck drängen zu lassen oder sich gar selbst dort einzusperren. Schaut man sich den Rest ihrer Programmatik an, so finden sich dort viele klassisch links-liberale Themen. Da geht’s von der Stärkung politischer Partizipation, über Religionskritik, Nachhaltigkeit und Klimaschutz, bis hin zur sozial gerechten Besteuerung von Großkonzernen, quer durch. Man wollte bewusst niemanden verschrecken, um eben für alle wählbar zu sein, die sich bei der Ablehnung der Coronamaßnahmen wort-wörtlich „die Hand reichen“ können. Ein wichtiger Grund, warum man im Gegensatz zur ebenfalls impfkritischen FPÖ bei WählerInnen aller Parteien punkten konnte.

4. ZIELGRUPPENORIENTIERTE KAMPAGNE

Zu guter Letzt hat offensichtlich auch die mediale Wahlkampfstrategie gepasst. Anstatt sich mit den etablierten Parteien und ihren prall gefüllten Wahlkampfbudgets um den öffentlichen Raum und mediale Aufmerksamkeit zu prügeln, hat man hier nur das absolut Nötigste gemacht. Ein Großteil der Energie floss in die Mobilisierung kleiner organisierter Issue-Gruppen. Also Foren und Netzwerke von Impfgegnern, Coronaleugnern und Maßnahmenkritikern. Hier, in der „Parallelöffentlichkeit“ wie es meine Kollegin Kathrin Steiner-Hämmerle nannte, wurde Stimmung gemacht und vor allem eines immer und immer wieder getrommelt: Wenn du gegen die Impfung bist – wähle MFG!

Fazit

Zählt man all das zusammen, ist dann offensichtlich auch der Fallbeil-Effekt irrelevant. Eine Partei, die von Wählern und Wählerinnen als verlängerter Arm ihrer Interessen begriffen wird, die wählt man nicht aus taktischen Überlegungen, sondern aus handfester inhaltlicher Überzeugung.
Das hoffentlich bald absehbare Ende der Pandemie wird dann auch zeigen, wohin die Reise der neuen Landtagspartei geht. Allein „auch bei vernünftigen Dingen mitzustimmen“, wie ihr OÖ-Chef im Nachwahl-Interview meinte, wird da aber wohl nicht genügen. Wir dürfen gespannt sein.