Sideletter – die Nebenabrede

Seit Bekanntwerden des pikanten türkis-grünen Sideletters zum Koalitionsvertrag, bemüht man sich im Kreise der Regierungsparteien um Beschwichtigung und Schadensbegrenzung.

Die Aufregung darum sei künstlich, eine sogenannte Nebenabrede bei Vertragswerken etwas ganz Normales, wie Grünen-Chef Kogler und VP-Klubobmann Wöginger einmütig ausrichten lassen.

Und natürlich haben sie vollkommen recht! Die sogenannte „Schriftformklausel“ findet sich in vielen Verträgen wieder. Vor allem wenn‘s um mehr als eine Kiste Bier oder ein Wurstsemmerl geht, empfiehlt es sich Zusatzvereinbarungen festzuhalten – und zwar schriftlich. Denn „wer schreibt der bleibt“ wie ein geflügeltes Sprichwort sagt.

Schön also, wenn sich letztlich doch alles in Wohlgefallen auflöst. Die böse Opposition ihre Schmutzkübel wieder wegpackt und man sich als grüner Basisfunktionär sicher sein darf, im ehrenhaften Dienste der Hohepriester des politischen Anstandes zu stehen.

Moment mal!

Ist es bei den „üblichen Nebenabreden“ nicht so, dass alle Vertragspartner diese zu sehen bekommen und letztlich auch unterzeichnen müssen – eben, weil damit der ursprüngliche Vertrag ergänzt bzw. abgeändert wird?

Und ist es nicht auch so, dass im Falle des Kurz-Kogler-Papiers nicht einmal die Koalitionsverhandler der Grünen in vollem Umfang eingebunden waren, geschweige denn die Delegierten des Bundeskongresses?

Betrug am Bundeskongress

Geht’s nach den Twittereien von Birgit Hebein und Albert Steinhauser, dürfte sogar beides der Fall gewesen sein.

Sie, die Ex-Chefin der Wiener Grünen und ehemalige Vizebürgermeisterin der Bundeshauptstadt, war im Verhandlungsteam und wusste von einer Vereinbarung – nicht aber von deren Inhalt.

Er, als ehemaliger Klubobmann im Parlament, auch kein einfacher Barfußgeher, kritisierte, dass man dem Bundeskongress „relevante Informationen“ vorenthielt.

Ich frage mich jetzt, was so ein Vertrag wert ist, dessen wesentliche Inhalte dem „obersten entscheidungs- und willensbildenden Gremium“ einer Partei vorenthalten werden? (§8, Satzung der Partei Die Grünen)

Inhalte, die zwar Sebastian Kurz kannte, nicht aber die Mitglieder der Grünen.

Und dabei ist das völlig unabhängig von der inhaltlichen Dimension zu sehen.

Weil es egal ist, ob Werner Kogler und Sigi Maurer Grundhaltungen ihrer Partei zur Verhandlungsmasse degradieren und das Nein zum Kopftuchverbot gegen einen ORF-Posten für Glawischnig-Spezi Lothar Lockl tauschen.

Genauso wie es für die finale Bewertung egal ist, dass die beiden grünen Topverdiener zustimmten, Schwerarbeitern ihre abschlagsfreie Frühpension, die Hacklerregelung wieder wegzunehmen.

Sie hätten im Sideletter sogar festlegen können, der Menschheit den Weltfrieden zu bringen – solange sie das den entscheidenden Gremien ihrer Partei vorenthalten, bleibt es, was es ist: Ein Betrug des Bundeskongresses und ein Bruch der Statuten (§8.6 lit. i.). Doch was jetzt?

Der Zweck heiligt die Mittel – nicht!

Die Geschichte der Grünen ist eine Geschichte von Menschen, die aufstanden, um das Notwendige zu tun. Um gemeinsam gegen die Atomkraft zu demonstrieren, die Hainburger Au vor der Zerstörung zu bewahren und um den alten, hierarchischen Parteien, eine moderne basisdemokratische Bürgerbewegung entgegenzustellen.

Man kann das gut finden, oder auch nicht. Niemand aber wird bestreiten, dass die Grünen stets ihren Überzeugungen gefolgt sind und im Zweifel immer den geraden Weg, den ehrlichen Weg wählten.

Bis heute.

Und wenn Werner Kogler und Sigi Maurer nun versuchen abzulenken und den türkisen Teufel an die Wand malen, erklären, dass ohne sie alles noch viel, viel schlimmer gekommen wäre, so muss ihnen doch bewusst sein, dass eine Wahrheit ganz tief in Grüner DNA verwurzelt ist: „Der Zweck heiligt niemals die Mittel“.

Atomenergie wird niemals ein Beitrag zur Energiewende sein.

Abholzung niemals dem Schutz des Regenwaldes dienen.

Krieg niemals Frieden schaffen.

Und ein Betrug des Bundeskongresse, ein Bruch der Parteistatuten niemals zu einer besseren Politik führen.

Liebe Grüne Basis: holt euch eure Partei zurück bevor nichts mehr davon übrig bleibt!

„Grüner Regierungspragmatismus“

Mit nur 26 Jahren zieht Daniela Holzinger-Vogtenhuber erstmals in den Nationalrat ein. Bald als SPÖ-Rebellin bekannt, stellte sie sich mehrfach gegen den Klubzwang und trat letztlich erfolgreich für die Stärkung parlamentarischer Kontrollrechte ein. 2017 bricht sie endgültig mit ihrer ehemaligen Partei, kann ihr Mandat bei den vorgezogenen Neuwahlen jedoch behaupten. Diesmal parteiunabhängig über ein Ticket der Liste JETZT, wo sie zur „fleißigsten“ weiblichen Abgeordneten des Parlaments avancierte. Heute ist Holzinger-Vogtenhuber Seniorpartnerin einer Agentur für Politikberatung und leidenschaftliche eXXpress-Kolumnistin.