Liebe Johanna Jachs,

Du schreibst auf Instagram wie‘s dir geht. Als Politikerin, quasi „selbstständig“ mit einem vollen Terminkalender ohne Urlaub und ohne Vertretungsmöglichkeit. Als alleinerziehende Mutter einer dreijährigen Tochter, die immer gerade dann den Schnupfen aufreißt, wenn Mama-Zeit ist.

Mit Eltern und Großeltern, die natürlich auch ihr eigenes Leben zu managen haben, im Beruf stehen, selbst mal erkältet sind und am Ende doch wieder alles an dir hängen bleibt.

Und du reißt dir selbst die fast makellose Insta-Maske runter. Schreibst, dass du natürlich „nicht alles im Griff“ hast, dass das was du deinen Followern täglich zeigst, eben doch nur ein sehr kleiner Ausschnitt der echten Johanna Jachs ist. Ein Teil, den man gerne zeigt und den sich viele gerne ansehen: Schöne, teure Kostüme. Ein Selfie mit Arbeitskollegen in den imposanten Räumlichkeiten der Hofburg, eine Rede im Plenarsaal, Family-Time am Motorboot bei Sonnenuntergang, Relaxen am See, Yoga-Übungen … schöne, erfolgreiche Menschen an schönen, ganz besonderen Orten.

Schöner Schein

Natürlich ist das nur Schein. Natürlich sieht auch dein echtes Leben anders aus. Als Spitzenpolitikerin bist du fast nie privat, immer unter Beobachtung, immer eingespannt. Plenarsitzungen sind dabei nur der kleinste Teil.

Da gilt‘s im Wesentlichen die Zeit abzusitzen, totzuschlagen, die man so gerne für Wichtigeres genutzt hätte. Weil eh klar, was am Ende herauskommt. Die Regierungsparteien stimmen dafür, die Opposition dagegen und umgekehrt. Alles Reden nutzt nichts, überzeugt niemanden so lange die koalitionären Fesseln halten.

Wenn dich deine Neider nach dem Sitzungsmarathon nach Hause gehen sehen, fängt deine Arbeit erst an. Als Mitglied und Ersatzmitglied in zwölf parlamentarischen Ausschüssen, als Gemeinderätin deiner Heimatstadt, als Bezirks-, Landes- und Bundesvorstandsmitglied einer politischen Jugendorganisation und natürlich, seit etwas mehr als drei Jahren, auch als Mutter. Jetzt alleinerziehend. Überall warten Verpflichtungen auf dich, prasseln Anforderungen auf dich ein.

Du musst alles schaffen, unter einen Hut kriegen, darfst dir keinen Ausrutscher leisten, kannst ganz einfach nicht hinschmeißen. Wir Frauen sind die Last Line of Defence. Wir „Karrierefrauen“ der Lackmustest für unseren Anspruch auf Gleichberechtigung. Familie und Beruf – das muss sich ausgehen. Wir dürfen nicht scheitern. Null Fehlertoleranz.

Um das zu verstehen und die Leistung einer Frau in deiner Position zu respektieren, muss man deine Partei, deine politische Meinung nicht mögen oder inhaltlich teilen.

Respekt

Nein, es geht um Respekt und Empathie. Die Fähigkeit ein paar Meter in den Schuhen des anderen zu laufen – zumindest gedanklich und den eigenen Geltungsdrang, das eigene Haschen um Anerkennung und Bestätigung zumindest für einen kleinen Moment hintan stellen zu können.

Eine Fähigkeit, die im asozialen Me-Space der „Sozialen Netzwerke“ heute aber kein Asset mehr zu sein scheint.

Statt kultiviert-inhaltlicher Diskussion stürmen die Trolle mit Scheiße auf ihr Opfer zu. Neudeutsch und etwas gesellschaftsfähiger „Shitstorm“ genannt.

Dein Offenbarungseid hat so etwas nicht verdient, obwohl – eh klar – eine perfekte Zielscheibe. „Oams Mutschgale“, „Tränendrüsendrückerei“, „ahnungsloses Pupperl“, „Trutscherl“ waren dabei noch die harmlosesten Sprüche.

Bei Frauen, die den ihnen zugewiesenen Platz verlassen, sich trauen eigene Gedanken zu formulieren und erfolgreich sind, fallen die Hemmungen nur umso schneller. Mitten im „aufgeklärten“ Österreich.

Und doch haben sie Recht!

Mit einem aber haben sie Recht! Es macht einen enormen Unterschied ob man als Alleinerzieherin ein paar hundert Euro oder knapp 10.000 € zur Verfügung hat. Monatlich. Zuzüglich Spesen.

Deine finanzielle Lage ist extrem privilegiert, wie du selbst sagst. Das Geld ist für dich kein Faktor. Wenigstens.

Fast 400.000 Kinder und Jugendliche leben heute in Familien, denen diese Sorge aber (noch) niemand nimmt. Wo selbst kleine Ausgaben zu größten Hürden werden und wo im Falle von Unterhaltsstreitigkeiten sogar die bloße Existenz am Spiel steht.

Geh mit gutem Beispiel voran. Zeige Empathie, versetze dich in die Lage einer Mutter wie du eine bist. Das Kind erkältet, die Oma nicht greifbar, der Kindsvater nicht da, der Unterhalt nicht bezahlt und am Ende des Geldes noch sehr viel Monat übrig.

Hunderttausendfache Realität im Staate Österreich. Weil wir noch immer keine Kindergrundsicherung haben, die bestehende Sozialhilfe insbesondere in Zeiten explodierender Energiepreise aber bei Weitem nicht mehr in der Lage ist reale Bedarfe zu decken.

Und weil der Staat Mütter und Kinder noch immer im Stich lässt, wenn sich Väter weigern ihren Unterhaltspflichten nachzukommen – Stichwort „Unterhaltsgarantie“. Für beide Probleme liegen die Lösungen am Tisch und ich würde mich freuen, wenn du das aufgreifst und endlich auch deine Partei davon überzeugst, dass hier etwas verbessert werden muss. Nicht nur für die Muttis im Parlament. Stillzimmer, Ruheraum und Mutterschutz für Politikerinnen sind super und wichtig. Noch wichtiger ist es meiner Meinung nach aber hunderttausenden Familien im Land die schlimmsten Existenzängste zu nehmen.

PS: Genau das wäre deine Aufgabe, jetzt wo du ansatzweise nachempfinden kannst, wies ihnen geht und an den Hebeln sitzt, um tatsächlich etwas zu ändern.

LG Deine ehemalige Kollegin, NRin a. D. Daniela Holzinger-Vogtenhuber