Narrativ und Realität

Im Narrativ der Partei ist die Sozialdemokratie eine zutiefst basisdemokratische Bewegung. Man will die „Verdammten dieser Erde, die stets man noch zum Hunger zwingt“ aufwecken, aufrütteln und endlich „reinen Tisch mit den Bedrängern“ machen. Der Anspruch: Die Revolution von unten, gegen Monarchie und Bürgertum im „letzten Gefecht“ zum Erfolg und das „Heer der Sklaven“ zu Freiheit und Wohlstand zu führen.

Doch was vor vielen Jahrzehnten noch Programm und Überzeugung war, ist heute maximal gelebter Liedtext und Folklore. Kaum eine Partei war bis vor Kurzem so strikt zentralistisch und hierarchisch organisiert wie die SPÖ. Top down.

Man hatte es sich gerichtet, den feinen Nadelstreif über das manschettengeknöpfte Maßhemd gezogen und mit Rot-Weiß-Roter Schleife drapiert. Solange der soziale Ausgleich funktionierte, der Wirtschaftsaufschwung auch den Kleinen ein paar Bröserl vom Kuchen sicherte, war man zufrieden – beschränkte sich auf den Kampf ums große und kleine Buffet.

Endlich wieder Klassenkampf?

Doch die Zeiten ändern sich. Massive Zuwanderung, stotternde Wirtschaft und permanente Krisen führen zu neuen Verteilungskonflikten. Am unteren Ende der sozialen Nahrungskette wissen die Menschen oft nicht mehr, wie sie ihre Wohnungen heizen sollen. Während ganz oben Milliardengewinne eingesackt werden. Der soziale Ausgleich stockt, für viele bleiben nicht einmal mehr Bröserl zum Leben.

Man möchte meinen, die Sozialdemokraten stünden vor ihrem großen Comeback. Endlich wieder Klassenkampf, endlich eine echte Aufgabe. Doch das rote Establishment ist ratlos, ideenlos, visionslos. 2023 reicht es nicht mehr von der Bühne zu winken und sich mit einer Träne im Knopfloch auf den Lieblingskoalitionspartner, zit.: „Blackies“ auszureden. Man ist Opposition im sechsten Jahr. Jammer-Jammer.

Politik, insbesondere sozialdemokratische Politik, muss heute wieder Antworten liefern. Sie muss erklären was sie anders und besser macht. Sie muss glaubwürdig sein. Und dazu muss sie die Perspektive ändern, den noblen Rathausbalkon verlassen und beginnen sich wieder die Hände schmutzig zu machen – bei jenen Leuten, deren Vertretung eigentlich ihre historische Aufgabe und Daseinsberechtigung ist. Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dieses Landes. Das heißt raus aus den Blasen, raus aus verrückten Orchideenthemen wie Drag-Queen-Kindershows, Migrationsfetischismus und Genderwahn. Österreich hat leider echte Probleme. Bitte lösen!

Ludwig war einmal.

Womöglich tut sie das jetzt ja sogar. Mit seiner Bewerbung um den Parteivorsitz hat Hans-Peter Doskozil Ereignisse in Gang gesetzt die bis vor Kurzem noch undenkbar schienen. Erstmals soll der Parteichef direkt durch die Mitglieder gewählt werden – sofern man sich an die Ergebnisse der Befragung hält. Erstmals gehen der Wahl des Vorsitzes echte, inhaltliche Richtungsdebatten voraus und erstmals verhallen Machtworte der „Bonzen“ ungehört.

Fast zeitgleich mit Bürgermeister Ludwigs Klarstellung, dass es keine internen Wahlkämpfe geben wird, starteten die Rendi-Herausforderer ihre Kampagnen und touren seither durchs Land.

Statt Schweigen von oben herab zu verordnen, werden Ideen und Programme diskutiert und damit die Grundlage dafür geschaffen, in Zukunft wieder zu wissen, was man eigentlich will. Immer vorausgesetzt, die fast schon verfeindeten Lager um Doskozil und Babler sind noch zur Versöhnung fähig und bereit ein demokratisches Ergebnis als Auftrag zu akzeptieren.

Bin übrigens gespannt für wen sich Rendi entscheidet. Wahrscheinlich für die vierte Option am Stimmzettel: „Keine*n der genannten Bewerber*innen“.