75% Misstrauen

Demokratie lebt vom Vertrauen. Als BürgerInnen müssen wir uns sicher sein können, dass jene Menschen, die wir dazu bestimmen unsere Interessen in Parlament, Landtag und Gemeinderat zu vertreten, das auch uneigennützig und zum Wohle der Gesellschaft tun. Regierung und Parlament wiederum müssen darauf vertrauen können, dass demokratisch getroffene Entscheidungen auch von jenen akzeptiert werden, die sich am Ende mit ihrer Meinung nicht durchsetzen konnten.

So weit, so ideal, doch leider weit weg von dem, was wir heute im Staate Österreich sehen. Wie das Virus hat auch die Politikverdrossenheit ein neues Allzeit-Hoch erreicht: Bis zu 75% der Menschen geben laut aktuellen Studien an, kein Vertrauen mehr in die Regierung zu haben. Doch auch die Opposition schneidet kaum besser ab.

Ein erschreckender Befund, der zum Teil auf Fehler im Pandemiemanagement zurückzuführen ist. Es wäre jedoch zu einfach es darauf zu reduzieren.

Die große Spaltung

Das grundlegende Problem ist vielmehr in der tiefgreifenden Spaltung unserer Gesellschaft zu suchen. Nicht aber jener zwischen Geimpften und Ungeimpfte, die ich Großteils für inszeniert halte. Nein, die Spaltung, über die wir reden sollten, ist jene zwischen oben und unten. Zwischen einem immer engeren elitären Kreis aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf der einen Seite und den „Abgehängten“ auf der anderen.

Wenn nämlich Corona eines zeigt, dann ganz klar, wo hier die Trennlinie verläuft und wie weit man sich schon voneinander entfernt hat.

Das Gefühl im selben Boot zu sitzen, schrumpft also mit jedem Tag. Und wenn man dann als dreifach-geimpfter Maskenträger, Abstandhalter, Fist-Bumper, Händewäscher und Gurgeltester, die Polit-Promi-Corona-Party live via ORF in den Lockdown geliefert bekommt, ja dann kommt es einem sogar so vor, als würde man gänzlich andere Gewässer befahren.

Wahlbeteiligung im Sinkflug

Doch was wir jetzt erleben ist nichts Anderes als die Beschleunigung eines langanhaltenden Prozesses der Entfremdung, den man gut anhand der seit Jahren sinkenden Wahlbeteiligung auf allen politischen Ebenen nachvollziehen kann.

Als jüngstes Beispiel ist die oberösterreichische Landtagswahl hier keine Ausnahme. Rund 58.000 Menschen mehr als noch sechs Jahre zuvor, blieben im Herbst der Wahl fern. Eine Zahl, die in etwa jener der EinwohnerInnen von Wels entspricht – immerhin die zweitgrößte Stadt des Landes.

Wirklich problematisch schien dieses Faktum aber für keine der Landtagsparteien gewesen zu sein – abgesehen von Stehsätzen halt, die, wie der Dank an die eigene WählerInnenschaft, zur Folklore eines Wahlabends gehören.

Ja nicht einmal in der Landeshauptstadt selbst schien man ein Problem darin zu sehen, dass sich kaum 64% an der Gemeinderatswahl und nur 30% an der entscheidenden Bürgermeisterwahl beteiligten. Linzer Stadtchef Luger (SPÖ) – real von nur 22% „seiner“ Bevölkerung gewählt – wähnt sich dennoch fest im Sattel.

Der volle Trog

Ein Grund für die ungebrochene Feierlaune mag unterdessen schnell gefunden sein. Werden doch unabhängig von der Anzahl jener, die am Urnengang teilnehmen, immer 100% des Kuchens verteilt. Im Land ob der Enns also 56 Sessel für die Abgeordneten, drei Landtagspräsidenten, eine deftige Klubförderung und insbesondere die sogenannte „Parteienförderung A“. Das ist jener Betrag, der sich laut Gesetz aus der Multiplikation der Anzahl der Wahlberechtigten mit 21,1 Euro ergibt und an die Parteien ausgeschüttet wird. In Summe mehr als 23 Mio. – jährlich!

Moment, könnte man jetzt einwenden. Da wird mit der Zahl der Wahlberechtigten multipliziert? Jede NichtwählerIn bringt den Landtagsparteien also dennoch Geld? Ja, genau! Jene Menschen, die das Gefühl haben durch ihre Teilnahme am politischen Prozess nichts verändern zu können, ändern also auch durch ihr Fernbleiben nichts.

Jeder Einzelne von ihnen bringt den Parteien bares Steuergeld, ob sie wollen oder nicht. Ein Ansatz, um politische „Verantwortungsträger“ also zu etwas mehr demokratiepolitischer Verantwortung zu motivieren, liegt damit auf der Hand. Oder anders gesagt: Lasst uns die Parteienförderung an die Wahlbeteiligung koppeln und verwundert sein, wie schnell sich die Dinge zum Besseren wenden.