Die große Amnestie.

Eine ÖVP, die Nazis Sitze im Parlament reserviert und politisch freie Hand lässt? Ein SPÖ Innenminister der den „Sozialismus“ im Nationalsozialismus als ideologisch verbindendes Element lobt? 

Nein, das ist keine ferne Dystopie, kein Endpunkt einer vom totalen Sittenverfall geprägten politischen Kultur. Das war ganz einfach Realität im Staate Österreich. 

Wir schreiben das Jahr 1948. Kurz nach Ende des Nazi-Regimes, eines Weltkrieges mit über 60 Millionen Opfern und der grausamen Realität industrieller Massenvernichtung, gehen wir unsere ersten wackeligen Schritte in Richtung Neuanfang.

ÖVP und SPÖ dominieren das Land. Im Schatten der Besatzungsmächte teilen sie Macht und Einfluss unter sich auf. Regiert wird konzentriert. Sogar mit den Kommunisten – als Zugeständnis an Stalin. Nichts konnte die politischen Freuden der Sieger trüben.

Auch nicht die sogenannte „Minderbelastetenamnestie“ von 1948. 

Verbrechern die Hände reichen.

Irgendwie musste man schließlich mit mehr als einer halben Million ehemaligen Nationalsozialisten umgehen. Sie dauerhaft vom Wahlrecht auszuschließen, mit Berufsverboten zu belegen, war kein Zukunftsmodell und das, allen klar. 

Zumindest 118 ehemalige Nazi-Opfer, politische Häftlinge und Widerstandskämpfer stimmten daher als Abgeordnete für die Amnestie, waren bereit ihren ehemaligen Feinden und deren Helfern einen gemeinsamen Neuanfang anzubieten. 

Doch damit nicht genug. Plötzlich wieder legalisiert und wahlberechtigt, waren die „Ehemaligen“ für den Urnengang 1949 zum Faktor geworden. Wer immer sie auf seine Seite ziehen konnte würde die Nase vorne haben – das Nachkriegspatt auflösen und seiner Ideologie zum Durchbruch verhelfen. Jetzt begannen die Opfer um die Täter zu werben.

NSDAP 2.0

Bei der Volkspartei stellte man die Gründung eines eigenen nationalen VP-Flügels in Aussicht, garniert mit 25 Mandaten im Nationalrat – ohne Klubzwang. Quasi eine NSDAP 2.0 unter schwarzem Deckmäntelchen. 

Bei der SPÖ war man sich dieser Gefahr wiederum bewusst. Nicht aber weil das hieße, nur vier Jahre nach Kriegsende wieder Nazis im Hohen Haus zu haben, sondern aufgrund der dadurch drohenden VP-Absoluten.

Als Gegenmodell wurde die Gründung einer eigenen Partei, eines Sammelbeckens ehemaliger Nationalsozialisten propagiert und letztlich durchgesetzt. Nicht ohne dem neuen „Verband der Unabhängigen (VdU)“ – einem Vorläufer der heutigen FPÖ – auch noch Teile des Wahlkampfes zu finanzieren. Sozialistisches Geld für Ex-Nationalsozialisten. 

Aus heutiger Sicht undenkbar, skurril, ja verrückt. Damals aber sach- und machtpolitische Notwendigkeit im Kampf um die Zukunft des Landes.

Livestyle-Linke-Opposition

Wenn heute also Lifestyle-Linke-Sozialdemokraten mit Abscheu nach Niederösterreich und Salzburg sehen, dann hauptsächlich deshalb, weil sie diesen Kampf mangels einer Idee, einer Vision schon längst aufgegeben haben.

Man hat sich in der Opposition eingerichtet. Zieht moralische Unantastbarkeit, der politischen Realität vor und lässt Kritiker – auch parteiintern – gnadenlos die „Nazikeule“ spüren.   

Währenddessen regiert die Volkspartei. Wenn nötig auch mit Freiheitlichen. Was aus zumindest vier Gründen, ziemlich schlau ist:

1. Taktik: Die Brutalo-Opposition wechselt ins Team der Regierungs-Jubler.

2. Statistik: Wer auch immer mit Blau koalierte, gewann die nächste Wahl (Schüssel 2002, Kurz 2019, Doskozil 2020), weil FP-Oppositionspolitik nur in der Opposition funktioniert.

3. Vernunft: 20-30% der Wähler ständig auszurichten, dass sie ekelig wären, führt auch dazu diese nachhaltig zu verlieren. Bei der ÖVP tut man das nicht und fischt zuweilen erfolgreich im blauen Teich.

4. Inhalte: Wer im Koalitionspoker auf mehr als eine Karte setzen kann, hat bessere Chancen zu gewinnen, seine Inhalte durchzubringen und den Auftrag seiner Wähler umzusetzen. Letztlich geht’s nämlich darum. Nur darum.