Eines vorweg: Ich habe mich nie als sonderlich politische Person gesehen. Nicht in meiner Schulzeit und selbst im Laufe meiner beruflichen Karriere lange Zeit nicht. Die einzige Wahl, die ich bis vor kurzem wirklich aufmerksam und mit Sorge mitverfolgt hatte,  war die österreichische Bundespräsidentenwahl 2016. Ich korrigiere: WahlEN, da war ja was! Damals fand der dreiteilige Wahlkrimi ein – für mich rein subjektiv gesehen – erfreuliches Ende. Und das war’s dann auch schon wieder mit meinem politischen Involvement und Interesse. Bis dann Ibiza kam, aber das ist eine andere Geschichte.

Denn heute geht es um die historischen Zeiten, die wir aktuell durchleben: Dann kam die Pandemie, und der Krieg in der Ukraine. Und der hat, in vielerlei Hinsicht, alles verändert. Meine und ihre Zeit in dieser bescheidenen Kolumne reicht freilich nicht aus, um über all die Arten und Weisen zu elaborieren, was und wie er verändert hat. Vor allem aber hat er mich – und das passiert in den letzten beiden Jahren überraschend oft – an etwas erinnert, und das war auch am vergangenen Sonntag wieder der Fall. Denn in diesen mehr als außergewöhnlichen Zeiten erlebe ich nun immer wieder etwas, was die Franzosen ein „Déja-vu“ nennen – einen Moment, der einem unglaublich bekannt vorkommt, der sich anfühlt, als hätte man ihn schon einmal erlebt.

Und während ich angesichts der Stichwahl in Frankreich zum zweiten Mal in meinem Leben nervös auf das Ergebnis wartete und an die hoffentlich doch nochirgendwo vorhandene Vernunft der modernen Welt appellierte, klopfte es einmal mehr an – das “Déja-vu”. Ich komme mir mittlerweile wirklich ein wenig vor wie in einem historischen Perpetuum mobile, wie eine der Hörkassetten aus Kindertagen, eines der Bücher das ich immer und immer wieder vorgelesen haben wollte.

Wir Menschen sind nun eben Gewohnheitstiere, wir finden Zuflucht und Geborgenheit in sich wiederholenden Mustern und Routinen – offenbar auch, wenn sie selbstzerstörerischer nicht sein könnten. So und nicht anders kann ich mir nur gewisse Vorkommnisse der jüngsten Zeiten erklären, die einen schlimmen, tiefen Keil zwischen unsere Gesellschaft getrieben haben, der uns mit jeder Krise mehr zu spalten scheint. Und wenn wir, im goldenen Westen, in einem Zeitalter des Überflusses leben, so mangelt es uns aktuell vor allem an einem bestimmt nicht: an Krisen. Dafür aber an Vernunft und an vernünftigen und integeren Führungspersönlichkeiten. Und damit ist eigentlich noch gar nichts und doch alles gesagt, was ich hier und heute zum Ausdruck bringen möchte. Und die Präsidentschaftswahl in Frankreich könnte sinnbildlicher nicht fungieren.

Wer mich kennt, der weiß, dass ich eine tiefe Verbundenheit zur „Grande Nation“ empfinde und sie als Herzensheimat betrachte – daraus ergibt sich auch ein natürliches Interesse für die Geschichte und die aktuellen politischen Ereignisse in diesem atemberaubenden Land. Ich kenne die jeweilig wichtigsten Akteure Frankreichs quer durch seine Geschichte hindurch, habe ihre Agenden teils in Schule und an der Universität sowie im Land und unter seinen Leuten selbst studiert und liebe es von ganzem Herzen. Auch darum sympathisiere ich seit seinem Amtsantritt 2017 mit Emmanuel Macron.

Bis vor wenigen Wochen war ich mir sicher, dass ihm die zweite Amtszeit – trotz aller schweren Krisen und aller Fehler, die er hat – sicher sei. Ganz besonders, nachdem Macron sich kurz vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine als der „Vermittler“ des Westens in etliche Gespräche mit Wladimir Putin geworfen hatte, um das zu verhindern, was wohl niemand verhindern konnte: den Krieg in der Ukraine. Auch wenn er die fatale Invasion nicht abwenden konnte, habe ich nicht wenig Bewunderung dafür übrig, dass er es versucht hat und weiter versucht – auch wenn der Auftritt als “Macronskyj” vielen vielleicht ein wenig zu dick aufgetragen war.  Besser ein bisschen “too much” als nichts zu tun – “Dezenz ist Schwäche”, wenn es um Leben und Tod geht. Dann aber erstarkte Marine Le Pen zuletzt, der Abstand zwischen den beiden stimmstärksten Präsidentschaftskandidaten wurde geringer. Mir wurde klar: Nix ist fix – 2022 can do that to you, ich habe gelernt.

ALLERspätestens seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine kann ich mich nicht mehr als unpolitisch bezeichnen, bei bestem Willen nicht. Ich kann mich nicht ducken und meine Meinung für mich behalten, auch wenn sie vielleicht in manchen Kreisen eine “unpopular opinion” ist – für mich ist der Krieg in der Ukraine ein unfassbares Verbrechen, der mich in den letzten Wochen beruflich und emotional an meine Grenzen stoßen hat lassen. Als Journalistin kann und konnte ich mich den Realitäten und den Grauen des Krieges nicht entziehen – ich wollte und will es auch nicht. Ich habe mich beinah verloren im Sumpf der schrecklichen Schicksale und unfassbaren Gräueltaten, die geschehen, während ich diese Zeilen schreibe. Und auch darum gab und gibt es für mich auch bei der Frankreich-Wahl nur eine Option: Macron. Nicht umsonst blickte die ganze Welt am Sonntag gebannt auf die Entscheidung der Franzosen.

Ich war nie politisch, dachte ich – aufgrund des Krieges bin ich es spätestens jetzt. Ich war immer eine Romantikerin und eine Träumerin, jemand der an die Liebe und an das Gute im Menschen und die Macht der Worte glaubt – der Krieg hat mich zweifeln lassen und mich für eine Zeit verstummen lassen. Was mir geholfen hat waren Zeichen und Zeugnisse, dass Liebe, Hoffnung und Licht auch in den dunkelsten Zeiten existieren, und dass Schatten ein Teil des Lebens sind – und eine Reise. Eine kleine Auszeit, ein kurzes Kriegsberichtungs-Detox. Wie, wo? Hier schließt sich der Kreis. In Frankreich natürlich. Aber dazu bald mehr.

Ich glaube nicht an Zufälle. Und so grauslich die Ereignisse der letzten Wochen und Monate waren, so hoffe ich, dass mit der Wahl Macrons, die ganz Europa hat aufatmen lassen, sich bald auch wieder vermehrt Schönes zeigen darf. Dass das Leben auch diesmal einen Weg finde, Tod hat es nun wahrlich viel zu viel gegeben.

Beinahe schicksalshaft kam und kommt es mir dann vor, dass der „Zweimonatstag“ der russischen Invasion der Ukraine und die Stichwahl der Präsidentschaftswahl in Frankreich auf dasselbe Datum fallen. Dass der Frühling, wenngleich aktuell noch sehr launisch und zaghaft, angebrochen ist. Das bedeutet nicht, dass er morgen vorbei sein wird – auch wenn ich mir das wünschen würde. Das bedeutet auch bestimmt nicht, dass Emmanuel Macron und so ziemlich alle Staatsspitzen der Welt einen massiven Berg an Arbeit vor sich haben und wir alle – alle, alle – die Ärmel aufkrempeln müssen. Aber es gibt mir doch die Hoffnung, dass wir uns zuvor vielleicht bald wieder umarmen können.

Denn sehen Sie – egal ob wir uns als politisch ansehen oder nicht, welcher Partei, Religion, Ethnie, Nationalität oder Gesinnung wir angehören. Wir sind doch alle Menschen und teilen uns diesen Planeten und es kann doch in niemandes Interesse sein, dass wir uns auch im Jahr 2022 einmal mehr und schon wieder gegenseitig die Köpfe einschlagen – sei es im Krieg, in den Straßen oder in den Kommentarspalten. Ich will niemanden belehren, maße mir nicht an, die Lösung zu kennen, die “richtige” politische Gesinnung zu haben oder etwas besser zu wissen. Nein – ich hoffe einfach immer noch auf einen Neuanfang für die Menschheit nach einem schrecklichen, schrecklichen Fehler. Denn nichts anderes ist dieser Krieg.

Jeder Tag, jedes Jahr schenkt uns doch eine Chance, etwas neu und besser zu machen. Vielleicht schaffen wir das ja auch jetzt. Auch im Jahr 2022, auch mit Corona, auch mit einer politischen Führung die uns nur mehr oder weniger gefällt, mit oder ohne Maskenpflicht, geimpft oder ungeimpft, mit welcher Staatsbürgerschaft auch immer – solang wir ein gemeinsames Ziel und kein Messer hinterm Rücken, sondern offene Arme, Augen und Herzen haben, muss da doch was gehen. Auch in einem Jahr wie 2022, wo “Déja-vus” an vergangene Weltkriege, gefährliche Gesinnungen und Verbrechen vergangener und allgegenwärtiger Zeiten hinter jeder Ecke lauern.

Schenken wir uns die Möglichkeit auf eine Verschnaufpause und probieren wir es – verhandeln wir, kämpfen wir für ein besseres Morgen, und zwar schon heute. “One more time” vom französischen DJ-Duo Daft Punk hat ein DJ vorm Eiffelturm nach Macrons Sieg gespielt – einer meiner absoluten Lieblings-Songs, ein Disco-Klassiker mittlerweile weil auch schon über 20 Jahre alt, und bedeutungsschwanger wie nur sonstwas in diesen Zeiten. Also, jetzt alle miteinander: “One more time” – auf ein Neues, alle gemeinsam. Mit Macron, mit allen anderen Politikern, Parteien, Menschen und Tieren und Lebewesen auf diesem Planeten.

Auf dass das nächste Déjà-vu (wieder) eines zum Feiern wird.