Drei Briefe tippte die Oberösterreicherin (36) in ihren Computer. Sie saß dabei im Panikraum ihrer Ordination. Einen Raum, den sie einrichten musste, weil radikalisierte Impf-Gegner sie massiv mit dem Umbringen bedrohten. Einer der Briefe ging an die Landespolizeidirektion Oberösterreich.

Letzte Zeilen aus dem Panikraum

„Kein Stress, Sie werden mich wohl nicht mehr lebend finden. Es ist 02.30 Uhr. Ich habe mich in den Panikraum zurückgezogen und werde mich umbringen. Ich kann nicht mehr “, schreibt sie. Sehr viel sei geredet worden, lamentiert sie. Geschehen sei nichts. „Ich verwünsche die Landespolizeidirektion Oberösterreich!“, brachte sie ihre Wut dramatisch zum Ausdruck.

Staatsanwaltschaft Wels hat das Verfahren eingestellt

Die Staatsanwaltschaft Wels hatte im Juni das Ermittlungsverfahren gegen einen deutschen Verdächtigen eingestellt – mit der Begründung, man sei nicht zuständig, sondern deutsche Behörden. Eine Hacker-Aktivistin machte allerdings zwei Deutsche ausfindig, die Droh-E-Mails verfasst haben sollen.

In Österreich ermittelt die Polizei weiter gegen unbekannte Täter, weil davon auszugehen sei, dass die Vorwürfe mehrere Personen betreffen, wie es seitens der Ermittler heißt. An diesen Ermittlungen ändere auch der Tod der Frau nichts, man warte nach wie vor auf den Abschlussbericht der Polizei, so eine Staatsanwaltschaftssprecherin.

Personenschutz für die Ärztin gab es in all dieser Zeit nicht. Ihre Ordination wurde lediglich täglich von Polizisten “bestreift”.

Die Medizinerin die zuletzt wegen Morddrohungen ihre Praxis geschlossen hat, ist am Freitag, 29. Juli tot in ihrer Ordination im Bezirk Vöcklabruck gefunden worden.APA

Fall zeigt, wie tief der Graben ist

Dass es keine Hilfe gegeben hätte, steht auch im Brief an die Ärztekammer zu lesen. Bei ihren Kollegen entschuldigt sie sich in einem weiteren Schreiben für ihre Entscheidung. Doch der Suizid der jungen Medizinerin beschäftigt nicht nur ihre Freunde und ihre Familie. Auch Politik und Medien sind betroffen. Dass eine Ärztin sich das Leben nahm, weil sie dafür angefeindet wurde, eine Impfung zu bewerben, zeigt, wie tief und echt (und tödlich) der Spalt in der Gesellschaft ist, den wir bisher nur als theoretische Trennlinie wahrgenommen hatten.

Trauernde haben sich vor dem Gesundheitsministerium in Wien am Freitag, 29. Juli 2022 versammelt, um der verstorbenen Ärztin zu gedenkenAPA

Debatte über "Effekt-Hascherei" in Medien

Besonders traurig: Selbst der Freitod der Oberösterreicherin spaltet die Lager immer weiter. So versuchen derzeit viele, mit dem tragischen Schicksal der Frau Kleingeld zu wechseln. Auch der Chefredakteur einer Wiener Wochenzeitung, Florian Klenk muss sich Kritik gefallen lassen. Seine Mutmaßungen werden auf Twitter als “Effekt haschen” bewertet. So zwitschert dem “Falter”-Journalisten eine Psychiaterin ins Stammbuch: “Als Psychiaterin meine ich, eine kolportierte stationäre Aufnahme bei angeblicher Suizidalität 2 Wochen vor dem Tod tut nichts zur Sache. Zu behaupten, es habe einen Suizidversuch gegeben ohne Angabe von Quellen, was entsprechend nur ihrer Interpretation entspricht, ist unseriös”.

Klenk hatte zuvor gemutmaßt, dass Dr. Kellermayr bereits zuvor Selbstmordgedanken hegte – und wollte ihre behandelnden Ärzte in die Verantwortung nehmen, da diese sie nicht mittels Unterbringungsgesetz “weggesperrt” hatten. Generell ließ sich Klenk dazu hinreißen, sehr detailliert über das Ableben der Ärztin zu berichten. Eigentlich ein Tabu, das es aber scheinbar zu brechen gilt, wenn man denkt, in der eigenen Ecke damit punkten zu können.

Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich. Infos für Jugendliche gibt es unter www.bittelebe.at)