Unsere deutschen Nachbarn beobachten den Ukraine-Konflikt nicht nur auf politischer Ebene genau – mit Russland als großem Gaslieferanten sind die weiteren Entwicklungen auch infrastrukturtechnisch höchst relevant. War die deutsche Regierung bis vor kurzem noch in akuter Sorge um mögliche Versorgungsengpässe im Falle einer Eskalation – und der daraus resultierenden Folgen wie den angekündigten Sanktionen auf Seiten Europas – scheinen sich die Gemüter hier nun etwas entspannt zu haben. Grund zum Aufatmen geben die Ergebnisse aktueller Berechnungen: Diese prognostizieren, dass Deutschland voraussichtlich selbst über den Winter kommen kann – und zwar auch dann, wenn Russland seine Erdgaslieferungen komplett einstellen würde. Die restlichen Vorräte der deutschen Speicher sowie das Flüssiggas, das sich über Kurzzeitverträge einkaufen lasse, würden ausreichen, um die Versorgung sicherzustellen, berichtete der “Spiegel” am Montag unter Berufung auf Insiderinformationen aus Regierungskreisen.

Voraussetzung sei, dass die Temperaturen in etwa im langzeitlichen Durchschnitt lägen, hieß es weiter. Bei einem länger anhaltenden Kälteeinbruch gelte dieses Szenario nicht. Erst vor kurzem hatten Experten gewarnt, dass ein kurzfristiges Ersetzen von Energie aus Russland, etwa nach einer Eskalation des Ukraine-Konflikts, in Deutschland nur schwer bis gar nicht möglich wäre.

Energiemarkt in ganz Europa unter Anspannung

Die Sorge rund um mögliche Versorgungsengpässe ist keine rein deutsche Problematik, sie zieht ich durch ganz Europa: Der Gasmarkt in der gesamten EU steht aktuell unter Hochspannung. Berechnungen des Branchendienstes S&P Global Platts zufolge hat Russlands Hauptexporteur, der Staatskonzern Gazprom, 2021 nur knapp 130 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa geliefert. Dies seien rund 31 Prozent weniger als durchschnittlich in den fünf Jahren davor. Anfang 2022 seien die Lieferungen sogar noch etwas zurückgegangen.

Gazprom würde zwar seine langfristigen Lieferverträge erfüllen, verkaufe aber anders als sonst kein zusätzliches Gas am Spotmarkt, berichtete das Magazin weiter. Nach aktuellen Zahlen des europäischen Verbandes Gas Infrastructure Europe betrage die Füllmenge der deutschen Gasspeicher derzeit noch rund 31 Prozent.