Eigentlich müsste die EZB gemäß den Verträgen ausschließlich die Preisstabilität sichern. Dennoch hat sie erst im Juni eine Zinswende angekündigt, wenn auch halbherzig. Das war nicht rechtens, sagt Prof. Markus C. Kerber, der Wirtschaftspolitik und Finanzwissenschaften an der TU Berlin lehrt. Er hat deshalb beim deutschen Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde eingereicht.

„Die EZB hat ihr Mandat für Preisstabilität missachtet“

Kerber zufolge hätte die EZB nicht nur der Inflation bekämpfen müssen, sie war aufgrund der niedrigen Zinsen und Anleihekaufprogramme sogar selbst wesentlicher Treiber des Inflationsturbos. Absurd sei die offizielle Rechtfertigung der ultralockeren Geldpolitik gewesen, wonach Deflation drohe: „Es kann nicht angehen, dass trotz einer Inflationsentwicklung seit Anfang 2021, die das Gegenteil der 2020 vorausgesagten Deflation ist, die EZB ihr Mandat für Preisstabilität missachtet und weiter die Geldmenge erhöht bzw. es unterlassen hat gegenzusteuern.“

Sofortiger Ausstieg aus Aufkaufprogrammen gefordert

Die Verfassungsbeschwerde prangert unter anderem die Verletzung des Mandats der EZB zur Gewährleistung der Preisstabilität an. Ferner wird das deutsche Bundesverfassungsgericht aufgefordert, die Bundesbank zum sofortigen Ausstieg aus den laufenden Aufkaufprogrammen anzuhalten.

Kerber ist Verfahrensbevollmächtigte der Europolis-Klägergruppe, die schon einige Verfassungsbeschwerden eingereicht hat, etwa gegen das Corona-bedingte Anleihekaufprogramm PEPP und die Kollateral-Lockerungen der EZB.

Prof. Kerber (r.) im TV-IntervieweXXpressTV

„Die EZB hat durch Geldmengenausweitung zur Inflation beigetragen“

Gegenüber dem eXXpress unterstreicht Kerber: „Die EZB hat in vielfältiger Weise Verantwortung auf sich geladen. Sie hat erstens Anleihekaufprogramme, die nichts weiter sind, als eine Erweiterung der Geldmenge, zu einem Zeitpunkt gestartet, wo schon absehbar war, dass wir eine inflationäre Tendenz bekommen würden. Dennoch war die EZB noch der Meinung, dass Deflation die eigentliche Gefahr sei. Zweitens versucht die EZB permanent abzulenken. Sie suggeriert: Diese Teuerungsraten hingen mit dem Krieg und den Lieferkettenunterbrechungen zusammen. Inflation ist immer ein monetäres Phänomen. Hierzu hat die EZB durch diese historisch einmalige Geldmengenausweitung beigetragen.“

EZB lag bei den Inflationsprognosen immer falsch

Die zahlreichen Anleihekaufprogramme seit der Finanzkrise 2008 haben die Geldmenge vervielfacht. „Nun kommt die Nachfrage wie immer nach einer Krise, und die wirkt wie ein kleines Zündholz, und bringt die Preise zum Explodieren. Wäre die Geldmenge nicht so gewachsen, hätten wir auch nicht diese in den vergangenen 35 Jahren einmaligen inflationäre Tendenzen.“

Zum anderen: Die EZB hat sich immer bei ihren Inflationsprognosen geirrt. „Sie war nie bereit zugegeben, dass sie sich geirrt hat, und hat dann behauptet: Jetzt geht die Inflation wieder hinunter. Das sagt sie auch heute.

In Wahrheit fürchte die EZB ein Auseinanderfallen der Euro-Zone

In Wahrheit gehe es der EZB überhaupt nicht um Preisstabilität. Sie fürchte vielmehr ein Auseinanderfallen der Euro-Zone, indem im Süden Europas bei den Hochschuldländern eine Hochzins-Zone entsteht. Nur: Die EZB hat kein Mandat die Währungszone zu erhalten, und den Wettbewerb zu verfälschen, oder so zu organisieren, dass es zwischen Deutschland und Italien, Holland und Zypern keinen allzu großen Zinsunterschied gibt.“

Gemäß Artikel 119 müsste die Währungsunion eigentlich dem Prinzip des unverfälschten Wettbewerbs dienen. „Momentan dient die EZB nicht dem unverfälschten Wettbewerb, sondern ist die kardinale Wettbewerbsverfälscherin schlechthin. Das ist eine Form von monetärem Sozialismus und wird so enden, wie jeder Sozialismus bisher geendet ist.“