Die Türkei stoppte den Handel mit allen börsennotierten Aktien, nachdem drastische Kursverluste eine marktweite Unterbrechung ausgelöst hatten und die Lira auf ein Rekordtief gefallen war. Damit hat die Lira-Krise der Türkei eine neue Dimension erreicht. Nach dem weiteren Verfall des Lira-Kurses zogen sich nun auch die Investoren in Scharen zurück. Selbst die Anleihen blieben von den Verwerfungen nicht verschont. Hier schnellten die Zinsen auf über 20 Prozent nach oben.

Der Handel mit Aktien, Aktienderivaten und Wertpapierpensionsgeschäften wurde innerhalb einer Stunde zweimal automatisch unterbrochen, nachdem der Borsa Istanbul 100 Index um bis zu sieben Prozent gefallen war. Als der Handel um 17.24 Uhr Ortszeit wieder aufgenommen, fiel der Index innerhalb der ersten zwei Minuten neuerlich um bis zu 9,1 Prozent.

Möglicher Wendepunkt in der lokalen Stimmung

Zuvor war der Index um bis zu 5,6 Prozent gestiegen, um danach wieder zu sinken, da eine Intervention der Zentralbank auf dem Devisenmarkt den Verfall der Lira nicht länger aufhalten konnte. Die Währung befindet sich seit Monaten in einem beispiellosen Sinkflug, vor allem weil der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf niedrigen Zinsen beharrt. Am Donnerstag war die Lira neuerlich unter Druck geraten, weil die Zentralbank ihren Leitzins um einen Prozentpunkt auf 14 Prozent gesenkt hatte. Dabei war die Inflation bereits auf mehr als 21 Prozent gestiegen.

“Die vollständige Kapitulation der türkischen Aktienmärkte heute könnte einen Wendepunkt in der lokalen Stimmung darstellen”, sagte Nick Stadtmiller, Direktor für Schwellenländer bei Medley Advisors, gegenüber Bloomberg. “Türkische Aktien sind trotz eines sich verschlechternden makroökonomischen Umfelds stark gestiegen. Dass die Türken nun ihr Geld aus dem Aktienmarkt abziehen, könnte eine Beschleunigung des Trends zu lokalen Kapitalabflüssen aus dem Land bedeuten.”

Der Leitindex der Istanbuler Börse stieg zunächst auf Rekordhöhen

Die dramatischen Bewegungen kommen zustande, da die Türken ihre Absicherungen gegen die grassierende Inflation neu bewerten und mit einer Währung zu kämpfen haben, die im vergangenen Monat fast 40 Prozent ihres Wertes gegenüber dem Dollar verloren hat. Der Kursabsturz der türkischen Lira bescherte den Aktien des Landes zunächst einen Höhenflug. Der Leitindex der Istanbuler Börse stieg von einem Rekordhoch zum nächsten. Der ISE (Istanbul Stock Exchange) 100 wird darüber hinaus von exportorientierten Unternehmen dominiert. Sie profitieren von einer Abwertung der türkischen Lira, weil dadurch ihre Produkte im Ausland wettbewerbsfähiger werden.

Aber das ist nur die eine Seite: Denn obwohl in dieser Woche der wichtigste Aktienindex der Istanbuler Börse in lokaler Währung weiterhin gestiegen ist und zum ersten Mal in seiner Geschichte die Marke von 2400 Punkten überschritten hat, hat er in US-Dollar gerechnet in diesem Jahr bisher 37 Prozent an Wert verloren und ist damit der am schlechtesten abschneidende Aktienmarkt der Welt.

Erdogan beharrt auf Senkung des Leitzinses um fünf Prozentpunkte

Die türkische Lira beschleunigt zurzeit ihren Sinkflug. Am Mittag erreichte sie weitere historische Tiefstände zu Dollar und Euro . Im Gegenzug mussten für einen Dollar erstmals mehr als 17 Lira gezahlt werden, für einen Euro waren erstmalig mehr als 19 Lira fällig. Dollar und Euro legten jeweils um mehr als sieben Prozent zur Lira zu.

Der Lockerungszyklus der Zentralbank seit September führte zu einer Senkung des Leitzinses um 5 Prozentpunkte, was bei Unternehmen und Privatanlegern einen Ansturm auf den Dollar auslöste.

Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich für eine Senkung der Kreditkosten eingesetzt und argumentiert, dass niedrigere Zinssätze die türkische Wirtschaft letztendlich von der Abhängigkeit von kurzfristigen ausländischen Zuflüssen befreien werden. Der politische Kurswechsel und die darauf folgenden Marktturbulenzen haben zu Beschwerden von Industriellen geführt, die sagen, dass die derzeitige Volatilität den Unternehmen schadet.