Vor einem Jahr ging es Kiew wirtschaftlich noch gut. Es ging bergauf, berichtet Bürgermeister Vitali Klitschko (51).  „Das Coronavirus hatte uns gebremst, aber wir hatten schon wieder höhere Einnahmen als im Vorjahr, es herrschte Vollbeschäftigung. Deswegen habe ich die Zukunft der Stadt sehr optimistisch gesehen“, sagt er im Gespräch mit dem „Spiegel“. Damit ist es nun vorbei. Das Defizit bei der Stromversorgung in Kiew beträgt 50 Prozent. Teilweise wird der Strom in einem Bezirk abgeschaltet, um ihn in einem anderen Bezirk anzuschalten, und umgekehrt.

Autos fahren während eines Stromausfalls im Dunkeln.APA/Andrew Kravchenko/AP/dpa

Streit mit Selenskyj um Wärmepunkte in Kiew

Nicht nur freundliche Töne sind zurzeit zwischen Klitschko und Präsident Wolodymyr Selenskyj zu vernehmen. Selenskyj kritisierte Klitschko kürzlich erst und sagte, die Kiewer Stadtverwaltung habe nicht genug Wärmepunkte für frierende Menschen eingerichtet. Das weist der Bürgermeister energisch zurück.

„Wir haben in Kiew mehr Wärmepunkte als alle anderen Oblaste, nämlich ganze 500. Ohne jegliche Unterstützung der Regierung haben wir Generatoren dafür aufgetrieben. Selenskyjs Kritik war ein Fehler.“ Den aufkommenden Streit will er offenbar nicht hochkochen lassen, zumindest solange der Krieg nicht vorbei ist: „Wenn unsere Bürger oder unsere Partner im Ausland sehen, dass wir Feinde im Innern suchen, ist das kontraproduktiv“.

Fehlende Koordination zu Kriegsbeginn

Doch dass er nicht nur glücklich ist über die Art, wie Selenskyj agiert hat, macht Klitschko dennoch deutlich. Über den Beginn des Krieges berichtet er etwa: „Es war chaotisch, weil die Kommunikation von oberster Stelle nicht richtig lief. Wir haben keine Direktiven bekommen. Die Zentralregierung hatte gesagt, alles werde in Ordnung sein, es gebe keinen Krieg. Deshalb mussten wir zunächst selbst entscheiden und uns danach mit dem Militär, mit Syrskij, koordinieren.“

Dabei haben damals bereits westliche und ukrainische Experten vor Putins Angriff gewarnt. „Deswegen habe ich für die Zivilverteidigung getrommelt, gesagt, dass wir uns vorbereiten müssen.“ Doch Präsident Wolodymyr Selenskyj wollte nichts davon wissen. „Die Zentralregierung hatte gesagt, alles werde in Ordnung sein, es gebe keinen Krieg. Ich wurde kritisiert, ich solle keine Panik schüren.“

Klitschko und Selenskyj hatten schon vor dem Krieg kein gutes Verhältnis, doch in diesem Jahr wurde das noch mal deutlicher.