Mietpreis-Explosion in Buenos Aires: Eine Gesetzesnovelle zum Schutz der Mieter provoziert einen Anstieg der Mieten um unfassbare 60 Prozent
Das ist absoluter Rekord: In Buenos Aires gehen die Preise für Mietwohnungen mit Aufschlägen von über 60 Prozent gerade durch die Decke. Schuld daran ist vor allem eine geplante Novelle des Mietgesetzes, die eigentlich die Mieter schützen sollte.
Eine weitreichende Folgen des Corona-Jahres ist am Immobilienmarkt zu beobachten. Ob in Europa, den USA oder China: So gut wie überall ist ein signifikanter Rückgang bei der Nachfrage nach Mietwohnungen zu verzeichnen – mit einer auffallenden Ausnahme.
"Größte Mietanstieg in der Geschichte Argentiniens"
In der lateinamerikanischen Metropole Buenos Aires gehen die Preise für Mietwohnungen gerade durch die Decke. Hier sind teilweise rekordverdächtige Preissteigerungen zu beobachten, die bis zu 67 Prozent über dem Vergleichswert vom Vorjahr liegen – das ist absoluter Rekord. Aktuell liegt der Durchschnittspreis für eine Mietwohnung in der argentinischen Hauptstadt bei umgerechnet 377 US-Dollar: Sehr viel Geld für den Durchschnitts-Argentinier – vor allem wenn man bedenkt, dass die Mietpreise aktuell doppelt so schnell ansteigen wie die Gehälter.
“Wir hätten niemals damit gerechnet, dass die Mieten über 60 Prozent ansteigen würden, niemand hat das geplant”, meint Immobilienmanager Leandro Molina, der für eine der führenden Online-Immo-Plattformen Argentiniens arbeitet, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Bloomberg, und weiter: “Das ist der größte Mietanstieg den es in der Geschichte Argentiniens je gegeben hat.”
Novelle des Mietgesetzes: Schuss ging nach hinten los
Doch wie konnte es zu dieser Preisexplosion kommen, die nicht nur in Anbetracht der Pandemie ein global einzigartiges Phänomen darstellt? Dass es so kommen konnte, lässt sich an zwei Faktoren festmachen.
Auf die Corona-Krise antwortete Argentinien mit exzessivem Gelddrucken, um die Covid-bedingten Sozialausgaben zu finanzieren. Doch das ist nicht alles. Tatsächlich kommen die enormen Preisanhebungen auch als Prophylaxe für die möglichen Auswirkungen einer geplanten Novelle des argentinischen Mietgesetzes zustande. Sie sind die direkte Reaktion der Vermieter auf ein Gesetz, dessen Einführung eigentlich die Regulation der Preise im Land und auch den Schutz der Mieter garantieren sollte. Dieser Plan ist aber nun heftigst nach hinten losgegangen.
Die Vermieter griffen zu einer radikalen "Notlösung"
Das Gesetz, das im Juli in Kraft treten soll, verlängert die Dauer von Mietverträgen und beschränkt die Intervalle, in denen Mieten erhöht werden dürfen. Noch ist es in Argentinien nämlich Usus, Mietverhältnisse auf zwei Jahre zu befristen und Mietzinsanpassungen alle sechs Monate durchzuführen. Das neue Gesetz will die Befristung auf drei Jahre ausdehnen und die Möglichkeit zur Mieterhöhung auf ein Mal im Jahr beschränken.
Auch wenn es aufgrund der allgemeinen wirtschaftlichen Unsicherheiten im Land in der Praxis generell üblich ist, dass Mieter und Vermieter in regelmäßigen Abständen über die Erhöhung der Mietkosten verhandeln, griffen die Vermieter aus Angst vor Benachteiligung nun zu einer radikalen “Notlösung”: Sie trieben die Preise vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes in die Höhe.
Wenn Eigentümer nicht mehr vermieten wollen
Darüber hinaus bieten die bevorstehenden gesetzlichen Änderungen den Mietern dermaßen große Vorteile, dass viele bisherige Vermieter es einfach aufgegeben haben, ihre Immobilien zu vermieten. Dies führte zu einem Konflikt in Sachen Angebot und Nachfrage. Durch das plötzlich geringere Angebot an Wohnungen wurden die Preise für die verfügbaren Mietwohnungen unverhältnismäßig in die Höhe getrieben. Dazu kommt, dass die argentinische Regierung zwischen März 2020 und März 2021 über ein Jahr lang die Mieten im Land “eingefroren” hatte – eine Maßnahme, von der sich viele Vermieter laut eigenen Angaben noch nicht erholt haben.
Hier schließt sich der Kreis und führt zurück zur Pandemie: Dass die unglücklichen Entwicklungen am argentinischen Wohnungsmarkt von einer globalen Pandemie umrahmt werden, ist zwar nicht der alleinige Auslöser für dieses Problem, aber dennoch ein großer Teil davon. Viele Menschen im für seine hohe Kriminalitätsrate bekannten Buenos Aires haben die Metropole für sicherere Gegenden außerhalb der Stadt verlassen und viele Argentinier kämpfen mit den steigenden Arbeitslosenzahlen und den Auswirkungen von Lockdowns und Schulschließungen.
Hohe Kriminalität, intransparenter Immobilienmarkt
Armut und Kriminalität steigen, mittlerweile liegt die Zahl an Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, bei 42 Prozent. Hinzu kommt, dass der Immobilienmarkt in Argentinien seit jeher einer der undurchsichtigsten und instabilsten auf der Welt ist: Preise werden meist in US-Dollar angegeben, die Menschen bezahlen aber in Pesos – einer Währung, deren Wert seit dem Jahr 2017 ganze 80 Prozent ihres Werts verloren hat. Die Folgen: Zinsraten liegen bei 30 Prozent, der Markt ist am Kollabieren, die meisten Hauskäufe und Verkäufe werden mit Bargeld abgewickelt.
Nun bemühen sich Politiker aus der Opposition, die geplante Mietgesetzgebung zu demontieren: Man will die Novelle adaptieren und damit retten, was zu retten ist – auch wenn man sich nur moderate Erfolgschancen ausmalt, vor allem, da schon viel Schaden angerichtet wurde noch bevor das Gesetz überhaupt in Kraft getreten ist. Dennoch: Einen Versuch ist es und muss es wert sein, sagt Alvaro Gonzalez aus dem Lager der Oppositionellen gegenüber Bloomberg.
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