Frankreich droht als erstes Land Europas in ein Blackout zu schlittern
Gebannt von Deutschlands Energiesorgen hat die Öffentlichkeit ganz auf Frankreich vergessen. Überraschung! Dort ist die Lage nochmals dramatischer. Bei einem kalten Winter ist das Land wesentlich anfälliger für Stromausfälle als Deutschland.
Die Lieferengpässe beim russischen Gas ziehen seit Monaten alle Aufmerksamkeit auf sich. Doch Frankreichs Notlage ist angesichts von mehreren notleidenden Atomreaktoren mindestens genauso dramatisch, wenn nicht noch schlimmer. Sollten die Temperaturen im Winter sinken, könnte Paris als erste europäische Stadt von einem Stromausfall betroffen sein, und nicht Berlin, prognostiziert Bloomberg.
Frankreichs Atomstrom wird knapp
Frankreichs Atomreaktoren haben zurzeit den niedrigsten Anteil an der Stromerzeugung des Landes seit 30 Jahren, denn Atomstrom wird knapp. Normalerweise liegt sein Anteil der Atomenergie bei etwa 70 Prozent des französischen Energiemixes. Am Freitagnachmittag lieferten die französischen Kernkraftwerke gerade einmal 59 Prozent des benötigten Stroms. Das ist ohne Übertreibung ein Fiasko für die Stromversorgung.
Frankreichs staatliche Energieversorgungsunternehmen Electricite de France SA betreibt nur 26 seiner 57 Reaktoren, wobei mehr als die Hälfte der Reaktorkette nach der Entdeckung von Rissen in den Rohrleitungen einer Notwartung unterzogen wird. Sämtliche AKW in Frankreich leiden an Überalterungen und an den Rekordtemperaturen, deretwegen viele abgeschaltet werden musste. Das Kühlwasser, das die AKW ableiten, darf nämlich eine bestimmte Temperatur nicht überschreiten.
Deutlich höhere Preise als in Deutschland
Im Kernkraftwerk Gravelines haben Ingenieure bei einer Inspektion massive Korrosionsschäden festgestellt. Die Reparaturen werden ein halbes Jahr dauern. In der Corona-Pandemie wiederum wurden viele Reaktoren nicht gewartet. Dies wird nun nachgeholt, doch es kommt immer häufiger zu Ausfällen.
Der Einbruch bei der Verfügbarkeit von Atomstrom zwingt Frankreich dazu, sich mehr denn je auf Gas-, Wind- und Wasserkraftwerke sowie auf Importe zu verlassen. Das treibt die Stromkosten auf dem Großhandelsmarkt für ganz Europa in die Höhe. Dabei übertreffen die französischen Preis hier noch die deutschen.
Zurzeit ist der Preis für eine Megawattstunden in Frankreich zehnmal so hoch wie er es im Schnitte in den Jahren 2010 bis 2020 war. Mehr als 500 Euro müssen Händler dafür bezahlen, in Deutschland sind es zurzeit zwischen 350 und 370 Euro. Die französischen Endverbraucher sind dank einer Preisobergrenze vorerst geschützt, aber die Unternehmen sind voll betroffen.
Die höhere Nachfrage im Winter wird zum Problem
Im Sommer ist Frankreichs Stromnachfrage auch geringer. Zum unüberwindbaren Problem droht das an einem kalten Winterabend zu werden, wenn die französischen Haushalte ihren Verbrauch von derzeit 45 Gigawatt pro Stunde auf mehr als 80 oder 90 Gigawatt steigern können. Im Winter ist auch die Stromnachfrage in Frankreich höher als in Deutschland, obwohl die Wirtschaft kleiner ist. Die Haushalte sind nämlich stärker auf Strom für Heizung und Warmwasser angewiesen.
Das staatliche Energieversorgungsunternehmen Electricite de France SA hat zwar versprochen, dass zumindest einige seiner Reaktoren rechtzeitig für die kälteren Monate wieder ans Netz gehen werden, doch “das Unternehmen hat die unangenehme Angewohnheit, zu viel zu versprechen und zu wenig zu halten”, kommentiert Bloomberg spitz.
Strompreis könnte Obergrenze durchbrechen
Nun hängt alles von der Strenge des Winters ab: Mit jedem Grad Celsius, das die Temperatur unter den Normalwert fällt, steigt der französische Strombedarf um etwa 2,5 Gigawatt pro Stunde – das entspricht der Leistung von zwei Kernkraftwerken.
Darüber hinaus wird im Dezember französischer Grundlaststrom für mehr als 1000 Euro gehandelt, fast das Doppelte der deutschen Preise, während Spitzenlaststrom – typischerweise abends, wenn die Familien zum Essen zusammenkommen und die Heizung läuft – für mehr als 2000 Euro den Besitzer wechselt. Frankreichs Stromnachfrage könnte im Verhältnis zum Angebot so hoch sein, dass die so genannten Stundenpreise im Dezember mehrmals gegen die von der Börse festgelegte Grenze von 4000 Euro stoßen werden.
Frankreich setzt zunehmend auf Energie-Import
Das französische Problem betrifft ganz Europa: Anfang Juli hat das französische Netz das britische Netz in einem Notfall um zusätzliche Energie gebeten – im Sommer, wohlgemerkt, wenn die Nachfrage gering ist. Seit die Probleme mit der Atomkraft zunehmen, verlässt sich Frankreich zunehmend auf Importe. Letztes Jahr kaufte Frankreich an 78 Tagen Strom aus dem Ausland. In diesem Jahr waren es bereits 102 Tage.
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