Franz Schellhorn: Die Gefahr eines Wohlstandseinbruchs steigt
Zurzeit erlebt Österreich eine massive Preissteigerung. Angesichts des Ukraine-Kriegs droht nun eine gefährliche Stagflation: hohe Inflation samt anhaltend langsamem Wirtschaftswachstum. Wie teuer die Geldentwertung bereits gekommen ist, worauf man sich einstellen muss, was Regierung und EZB tun müssten: Darüber spricht Franz Schellhorn von der Agenda Austria im eXXpress-Interview.
Die Preise steigen auf breiter Front, schon seit 2021. Wie stark hat sich das Leben des „durchschnittlichen Österreichers“ seit Anfang 2021 im Schnitt verteuert? Lässt sich das sagen?
Für den durchschnittlichen Österreicher hat sich das Leben seit Anfang 2021 im Schnitt um 7,8 Prozent verteuert. Das spürt jeder. Wir haben bereits vor einem Jahr vor höherer Inflation gewarnt, damals wurden wir ausgelacht. Heute ist angesichts der starken Preisschübe allen das Lachen vergangen.
Prognosen sind zurzeit schwierig, dennoch: Wieweit wird sich unser Leben bis zum Ende dieses Jahres verteuern, vorausgesetzt der Krieg in der Ukraine hält an und die EZB ändert ihren Kurs höchstens minimal?
Klar ist, dass uns die hohen Preise das ganze Jahr über begleiten werden. In einigen Bereichen – etwa der Energie – kommen die großen Schübe erst. Und sie werden bis tief ins kommende Jahr spürbar sein. Dabei reden wir noch gar nicht davon, wie sich ein mögliches Embargo auf russisches Öl und Gas auswirken könnte. Wir sollten auch nicht überrascht sein, wenn die Teuerung in einigen Monaten an der Zehn-Prozent-Marke kratzt. Vieles hängt auch vom Verhalten der EZB ab. Sie müsste die Zinsen kräftig anheben, was derzeit kaum ein Staatshaushalt aushält. Wir von der Agenda Austria haben immer vor den Schuldenorgien in Hochkonjunkturzeiten gewarnt. Weil damit jeder Staat anfällig für externe Ereignisse wird. Und jetzt hatten wir mit Corona und der Ukraine gleich zwei solcher externen Ereignisse.
Eine kräftige Steuersenkung für Arbeitnehmer würde Entlastung bringen
Die Gewerkschaften fordern bereits kräftige Lohnerhöhungen und haben solche teils schon durchgesetzt. Das ist wenig verwunderlich. Birgt es auch Probleme?
Die Forderungen der Gewerkschaften sind nachvollziehbar. Das erhöht aber natürlich die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale. Die Vorboten dafür sehen wir bereits. Durch kräftige Lohnerhöhungen würden sich die hohen Inflationsraten weiter verfestigen und uns noch länger begleiten. Aber gerade, wenn die Inflationsraten weiterhin so hoch bleiben, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Gewerkschaften bei ihren hohen Forderungen bleiben werden. Bis sich die Lohn-Preis-Spirale aber tatsächlich dreht, dauert es. Deshalb ist es wichtig, bereits früh gegen die hohen Inflationsraten anzukämpfen. Entlastung würde eine kräftige Steuersenkung für Arbeitnehmer bringen. Und die von uns seit langem geforderte Abschaffung der kalten Progression. Dass der Staat in Zeiten wie diesen auch noch die Inflationsabgeltung der Löhne besteuert, grenzt schon an eine Unverschämtheit. Damit müssten die Gewerkschaften keine so hohen Bruttoabschlüsse erzwingen, um für die Arbeitnehmer das gleiche netto rauszuholen.
Laut Europäischer Zentralbank (EZB) und einige Wirtschaftswissenschaftler sind primär bzw. ausschließlich die Energiepreise „schuld“ an den Preissteigerungen. Sehen Sie das auch so?
Diese Erklärung kommt vor allem von Ökonomen, die uns jahrelang erklärt haben, dass es keine hohen Inflationsraten geben wird, weil die EZB gefahrlos Geld drucken könne. Zudem hat sich in Österreich nicht nur Energie verteuert. Beinahe acht von zehn Gütern des gesamten Warenkorbs weisen mittlerweile eine Teuerung von über zwei Prozent auf. Das Grundproblem: Ein knappes Angebot trifft auch eine für Krisenzeiten enorm hohe Nachfrage. Letztere wäre ohne die Geldpolitik der EZB undenkbar. Nach der Finanzkrise zirkulierte das billige Geld noch im Finanzsektor. Jetzt kommt es über die Corona-Pakete in den Unternehmen und Haushalten an, die es mit beiden Händen ausgeben. Nur leider ist das Angebot aufgrund der Lieferkettenprobleme noch immer knapp. Die Folge sind Preisanstiege auf breiter Front.
Ohne Gas aus Russland droht nicht nur eine Stagnation, sondern eine schwere Rezession
Seit Anfang 2021 sind die Inflationsprognosen der EZB konstant zu niedrig gewesen. Worauf führen Sie das zurück?
Es ist nicht einfach, in einer derart unsicheren Zeit die richtigen Prognosen abzugeben. Die Unsicherheiten sind enorm, ebenso die der Kombination aus der Corona-Krise und mittlerweile dem Ukrainekonflikt. Das macht die Prognosen so schwierig. Das sollte man der EZB auch nicht vorwerfen. Vorwerfen muss man ihr aber, noch im Herbst 2021 von einer „vorübergehenden Teuerung“ gesprochen zu haben. Wo schon allen klar sein musste, dass wir länger mit hohen Preisen zu leben haben werden. Vorwerfen muss man EZB-Präsidentin Christine Lagarde auch ihren Ausspruch, wonach es uns wichtiger sein sollte, einen Job zu haben als unsere Ersparnisse gesichert zu wissen. Das könnte eine Politikerin sagen. Aber nicht jemand, dessen oberste Aufgabe die Sicherung des Geldwertes ist.
Die deutsche Autoindustrie rechnet bereits mit einem massiven Einbruch. Mit dem Krieg droht auch ein Wirtschaftseinbruch und damit Stagflation. Sie warnen davor. Warum ist das so gefährlich?
Stagflation bedroht den Wohlstand von zwei Seiten: Die Wirtschaftsleistung stagniert oder geht sogar zurück, während die Inflationsraten die Kaufkraft der Bürger schwächen. Normalerweise geht eine wachsende Wirtschaftsleistung mit höherer Inflation einher, eine sinkenden ebenso mit sinkenden Preisen. In einer „normalen“ Wirtschaftskrise ist auch die Vorgehensweise klar: Der Staat kann unterstützend eingreifen, die EZB kann die Zinsen senken und somit den Konsum und Investitionen ankurbeln. Doch bei einer Stagflation kommen die Probleme vom knappen Angebot. In einer Stagflation kann die Regierung unterstützend eingreifen, die Zentralbanken müssten aber die Zinsen erhöhen, um die Inflation in den Griff zu kriegen. Damit würden die Menschen weniger ausgeben und mehr sparen. Zudem würde der Euro-Kurs gestärkt, womit sich Importe verbilligen. Ob es in Österreich zu einer Stagnation kommt, hängt sehr davon ab, ob wir weiter mit Gas aus Russland beliefert werden. Falls nein, ist nicht nur mit einer Stagnation, sondern mit einer schweren Rezession zu rechnen.
Der Staat sollte die Ärmsten schützen und die Steuern senken
Was sollte die Regierung tun?
Beginnen wir einmal damit, was die Regierung nicht tun sollte: Mit der Fördergießkanne durch das Land zu spazieren. Der Staat kann nicht die gesamte Bevölkerung für unerwünschte Preissteigerungen entschädigen. Das soll der Staat auch nicht. Was er aber soll, ist die Ärmsten der Armen zu unterstützen, damit sie ihre Wohnungen heizen können. Genau dafür gibt es den Sozialstaat. Was die Regierung ebenso tun kann, ist, die exorbitant hohe Besteuerung des Faktors Arbeit endlich spürbar zu senken. Über eine Absenkung der Steuersätze und die Abschaffung der kalten Progression. Damit steigt die Kaufkraft der Bürger, wie bereits eingangs erwähnt.
Was sollte die EZB tun?
Der Job der EZB ist klar: Die expansive Geldpolitik muss ein Ende haben und die Zinsen müssen steigen. Aktuell hält sie sich alle Optionen offen und möchte zuerst die Käufe von Staatsanleihen beenden, bevor sie die Zinsen erhöht. Am besten wäre beides gleichzeitig zu tun. Anstatt die Staaten weiter mit billigem Geld zu versorgen, sollte sie sich endlich wieder auf ihre Hauptaufgabe konzentrieren: für stabile Preise zu sorgen.
Es muss klar kommuniziert werden: Eine Krise geht an uns nicht spurlos vorüber
Rechnen Sie mit einem spürbaren Wohlstandseinbruch in den kommenden Jahren?
Die Gefahr dafür hat sich erhöht. Insbesondere bei einer Unterbrechung der Versorgung mit russischem Gas droht uns ein erheblicher Wohlstandsverlust. Dabei ist es egal, ob Russland uns das Gas abdreht oder wir aus politischen Gründen auf EU-Ebene einen Importstopp beschließen. Gleichzeitig zeigt sich, dass die Überwindung der Corona-Krise länger dauern wird als noch vor einiger Zeit angenommen. Auch gut zwei Jahre nach ihrem Beginn ist noch kein Ende in Sicht. Zumindest liegen wir seit Beginn des Jahres wieder über dem Vorkrisenniveau. Und dann schwebt da im Hintergrund noch ein Problem mit Lieferketten und knappen Rohstoffen. Selbst wenn wir in den kommenden Jahren keinen spürbaren Wohlstandsverlust erleiden werden, müssen wir davon ausgehen, dass der Wohlstandsanstieg deutlich an Kraft verlieren wird.
Sollte die Politik die Bürger auf schwere Zeiten vorbereiten und das auch entsprechend kommunizieren?
Was klar kommuniziert werden sollte, ist, dass eine Krise nicht spurlos an uns vorübergeht. Sie ist schmerzhaft, sie kostet Wohlstand. Die Krise, die niemand spürt, ist noch nicht erfunden. Und sie lässt sich auch nicht mit Geldscheinen wegdrucken. Den Bürgern dieses Landes muss auch klar gemacht werden, dass der Staat sie nicht vor allem Unbill schützen kann. Das ist auch nicht seine Aufgabe. Viele Bürger sehen das aber anders, was sehr viel mit der Corona-Pandemie zu tun hat.
Franz Schellhorn (52) leitet seit Februar 2013 den Wiener Think Tank Agenda Austria, der sich mit relevanten wirtschaftspolitischen Fragen beschäftigt. Schellhorn absolvierte zunächst eine Bankausbildung bei der Creditanstalt, und studierte später Handelswissenschaften in Wien. Danach heuerte er bei der Tageszeitung „Die Presse“ an, wo er von 2004 bis 2013 das Wirtschaftsressort leitete, ab 2011 fungierte er zudem als Mitglied der Chefredaktion. Während seiner Tätigkeit bei der „Presse“ schloss Schellhorn im Jahr 2004 sein Doktoratsstudium ab.
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