Top-Ökonom kritisiert: Der EU-Wiederaufbaufonds zur Abwehr der Corona-Krise schadet mehr, als dass er nützt
Hart ins Gericht mit der Wirtschaftspolitik der EU geht der deutsche Spitzenökonom Stefan Kooths. Die Krisenbekämpfung wurde zum Vorwand für teure Industriepolitik wie den “Wiederaufbaufonds”. Die Folgen seien weit schädlicher als der Corona-Schock. Voriges Jahr hatten sich allein die “Sparsamen Vier” gegen den Wiederaufbaufonds gestellt, und mussten dafür viel Kritik einstecken.
Es sind Aussagen, die aufhorchen lassen: Der deutsche Top-Ökonom Stefan Kooths, der seit 2014 das Prognosezentrum im Institut für Weltwirtschaft in Kiel leitet, warnt: “Der Corona-Schock ist aus ökonomischer Sicht vergleichsweise gut verdaulich. Nachhaltiger als die pandemiebedingten Schäden bedrohen politikbestimmte Defekte hierzulande den Wohlstand”. Zu diesen von der Politik verursachten Defekten zählt Kooths die extrem teure Industriepolitik, mit der die EU auf die Corona-Pandemie reagiert hat und das nicht offen kommunizierte Abgleiten in ein anderes Fiskalregime. Die Covid-19-Krise wurde in Summe zum Vorwand für Interventionismus, dessen Folgen weit schädlicher seien, als der harte, aber kurze Corona-Schock. Kooths veröffentlichte seinen Beitrag zunächst im Debattenmagazin CIVIS mit Sonde.
Wirtschaftspolitik hätte nur marktfähige Unternehmen über die Durststrecke bringen sollen
Kooths kritisierte ausdrücklich, wie man im Kampf gegen das Virus den “Marsch in den Interventionsstaat weiter vorangetrieben” hat und “eine überfällige Kurskorrektur verzögert” wurde. “Die damit verbundenen Kosten machen die Pandemie nachhaltig noch deutlich teurer.”
Aufgrund der Unterbrechung der wirtschaftliche Aktivität wegen Corona, etwa in Tourismus, Gastronomie und Unterhaltungsindustrie, hätte sich die Wirtschaftspolitik primär darum kümmern müssen, “die marktfähigen Unternehmen über die Durststrecke des Stillstands zu bringen”. Hilfsprogramme, die das versucht haben, hat es auch gegeben. Kooths befürchtet aber, dass dabei auch “die Falschen gerettet wurden – nämlich diejenigen Unternehmen, die bereits vor der Krise in Schieflage waren”.
Krise als Vorwand für kostspielige Projekte, die ansonsten keine Mehrheit gefunden hätten
Doch damit nicht genug: Die Krisenbekämpfung wurde zum Vorwand für industriepolitische Projekte zur Transformation der Wirtschaft. Dabei sind diese, wie Kooths unterstreicht, zur Krisenbewältigung überhaupt nicht sinnvoll. Mehr noch: Sie richten schwerere Schäden an, als der harte, aber kurze Corona-Schock im Zuge des Lockdowns. “Es ist polit-ökonomisch ein bekanntes Muster, dass in Phasen schwerer Wirtschaftskrisen Projekte auf (Wieder-)Vorlage kommen, die in normalen Zeiten niemals Mehrheiten finden, weil sie zu teuer sind.” Solche Projekte sind ganz einfach zu kostspielig, um realisiert zu werden, es sei denn eine akute Krise bietet einen willkommenen Anlass für staatliche Mehrausgaben.
“Mit dem zusätzlichen Anti-Krisen-Etikett werden dann aus zweifelhaften Projekten Maßnahmen mit vermeintlichem makroökonomischem Mehrwert”, unterstreich Kooths. Er richtet diesen Vorwurf vor allem gegen die EU, und zwar das im vergangenen Jahr verabschiedete “Zukunftspaket” sowie den sogenannten EU-Wiederaufbauprogramm (“Next Generation EU”, NGEU) gegen den damals allein die “Sparsamen Vier”, darunter Österreich, Widerstand leisteten. “Die darin enthaltenen Maßnahmen tragen zur Krisenabwehr nichts bei. Es sind im Wesentlichen industrie- und technologiepolitische Transformationsprojekte, die erst zum Tragen kommen, wenn die Pandemie längst ausgestanden ist. Im Windschatten der Krisenbewältigung nimmt so der industriepolitische Interventionsgrad weiter zu.”
Es gibt keine ökonomischen Gründe für die beschlossenen Klimaschutz-Subventionen
In der EU wurde kurzfristige Stabilisierungspolitik – bedingt durch die Krise – mit langfristiger Industriepolitik vermengt, die es jetzt nicht braucht. Stabilisierungspolitik “zielt darauf ab, die bestehenden Kapazitäten während einer Krisenphase zu stützen. Strukturpolitik kann immer nur längerfristig erfolgreich sein”, doch muss sie dabei auch klug sei. Das gelte nicht für die nun beschlossenen Klimaschutz-Subventionen.
“Vor der Corona-Krise hatte man das offenbar klarer gesehen, sonst hätte man diese Programme vorher schon längst beschließen können, was man aber aus gutem Grund unterlassen hatte. Die Pandemie liefert indes keinerlei ökonomische Gründe für ein solches Umsteuern. Gegen die Krise helfen diese Maßnahmen nicht, weil die von Shutdowns betroffenen Branchen gerade nicht diejenigen sind, die von den Klimasubventionen (oder anderen technologiepolitischen Programmen) profitieren”, kritisiert Kooths.
Wie schon in der Schuldenkrise drohen vorübergehende Maßnahmen zu dauerhaften zu werden
Weil alle Länder nach der Krise ökonomisch geschwächt sind, hätten sich im Gegenteil die Ausgabespielräume für solche Programm sogar verengt. Umso verhängnisvoller ist das muntere Geldausgeben auf EU-Ebene, das – wie sich nun zeigt – nicht nur auf die Krise beschränkt bleiben wird. “Das Außerkraftsetzen des fiskalischen Regelwerkes (Schuldenbremse in Deutschland bzw. Europäischer Fiskalpakt auf EU-Ebene) gilt ausdrücklich nur für die akute Krisenphase, nicht für die Zeit danach. Im Ergebnis wird so in einem Anti-Krisenreflex eine Politik betrieben, die weder stabilisiert noch strukturpolitisch sinnvolle Instrumente einsetzt. Beides schadet dem Produktionspotenzial und macht in der Konsequenz die Menschen über die Folgen der Pandemie hinaus ärmer.”
So wie in der europäischen Schuldenkrise vor 13 Jahren die Nichtbeistandsklausel über Bord geworfen wurde, so hat die EU nun in der Corona-Krise das Verschuldungsverbot für den EU-Haushalt gebrochen – ein weiterer Dammbruch. “Das Argument, es handele sich dabei um eine einmalige Ausnahme, dürfte sich als flüchtig erweisen, allein schon deshalb, weil das Instrument für die Krisenbekämpfung untauglich ist. Es kaschiert nur, dass einige Mitgliedsländer fiskalisch so gestresst sind, dass sie bereits vor der Pandemie den uneingeschränkten Zugang zum Kapitalmarkt verloren hatten.”
Ad-hoc-Maßnahmen ohne Verträgsänderungen schaden dem Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit
In der Schuldenkrise waren vermeintlich vorübergehende Ausnahmeregelungen zur Dauereinrichtung geworden. Ebenso dürfte es auch jetzt kommen: “So wie einst aus der temporären EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) mit dem ESM (Europäischen Stabilitätsmechanismus) eine Dauerinstitution wurde, droht mit den als Ausnahme deklarierten neuen EU-Schulden der Einstieg in ein anderes Fiskalregime. Neben den davon ausgehenden Fehlanreizen nimmt dabei auch das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU Schaden, wenn zentrale Stabilitätspfeiler ohne Vertragsänderungen wiederholt mit Ad-hoc-Maßnahmen in Zeiten der Krise geschliffen werden.”
Ein Ordnungsrahmen sollte primär den den Akteuren helfen, Erwartungen zu bilden. “Er muss daher gerade in Krisenzeiten verlässlich sein”, unterstreicht Stefan Kooths. “Wenn man einen anderen Ordnungsrahmen will, so sollte man darüber eine breite öffentliche Debatte führen”. Die Politik des Aussitzens sei hingegen keine Lösung, “sondern die eigentliche Ursache eines mittlerweile massiven Governance-Problems.”
Kommentare