Deutsche Top-Ökonomen warnen vor den Wirtschaftsideen der Grünen
Das Wahlprogramm der Grünen erntet scharfe Reaktionen von Seiten deutscher Wirtschaftsforscher. Die teure ökologische Umgestaltung aller Lebensbereiche, die es vorsieht, werde Wohlstand zerstören, dem Klima aber nichts nützen.
„Fantasielos“, „fahrlässig“, „Abschied von der Sozialen Marktwirtschaft“ – mit scharfen Worten reagieren Ökonomen in Deutschland auf das Wirtschaftsprogramm der Grünen, mit dem diese zur Bundestagswahl 2021 antreten. Eine komplette „ökologische Transformation“ aller Lebensbereiche ortet Karl-Heinz Paqué – „mit viel Vormundschaft für die Menschen und wenig technologischer Fantasie“. Paqué lehrt Volkswirtschaft an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
Der Glaube in staatliche Regulierungen und Vorschriften
In einem Deutschland, das sich schon längst nach Entbürokratisierung sehnt, kommen die vielen Regulierungen und Gesetze, die von den Grünen gefordert werden, bei Wirtschaftswissenschaftlern gar nicht gut an. Sie erwarten sich davon mehr bürokratisches als wirtschaftliches Wachstum, das die Deutschen nach der ohnehin schon teuren Energiewende noch zusätzliches Geld kosten wird.
Die Grünen – einst eine Grassroots-Bewegung – vertrauen anscheinend mehr dem Staat und damit dem Wissen von ein paar Wenigen, als dem Entdeckungsprozess der Vielen in der freien Marktwirtschaft. Dass das Ziel, Deutschland zum klimapolitischen Musterschüler zu machen, dem Klima selbst am Ende helfen wird, bezweifelt der österreichische Ökonom Gabriel Felbermayr vor allem angesichts der „inkonsistenten Umsetzung“, die das grüne Wahlprogramm vorsieht. Felbermayr ist zurzeit Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Ab Oktober wird er das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) leiten.
Felbermayr kommt zum Schluss: „Die eklatanteste Leerstelle klafft im grünen Wahlprogramm bei Konzepten für eine verstärkte globale Kooperation im Klimaschutz. Da für die Lösung dieses wichtigsten Problems unserer Zeit zweifelsfrei weder eine deutsche noch eine europäische Kraftanstrengung ausreichen, ist das fahrlässig und gefährdet potenziell das Angestrebte Ziel.“ Dem Klima werde es nichts nützen, wenn Europa oder nur Deutschland „zu einer vermeintlich vorbildhaften Klimafestung“ ausgebaut werden, gleichzeitig aber andere Großmächte nicht mitziehen. Dass die Klimapolitik der Grünen so wenig international ausgerichtet ist, hält der Ökonom für besonders bedenklich.
Teuer und international nicht anschlussfähig
Felbermayer hält fest: Das Programm der Grünen mit staatlichen Vorgaben für Grenzwerte, Reduktionszielen und Produktionsstandards verteuert die Klimapolitik unnötig und senkt die internationale Anschlussfähigkeit. Mit ihrer unilateralen Politik würden die Grünen primär Industriearbeitsplätze zerstören, die andernorts dann wieder entstehen.
Sämtliche Vorschläge der Grünen gehen in Richtung Abschottung von jenen vielen Ländern, die sich den klimapolitischen Vorstellungen der Grünen nicht anschließen. Karl-Heinz Paqué fasst zusammen: „Es soll nur mit jenen Ländern freien Handel geben, die sich strikt an unseren Vorstellungen der Klimaschonung halten. Andernfalls werden Grenzausgleiche du Zölle fällig.“
Keine offenen Grenzen für den Handel
Vom Freihandel hält das Programm der Grünen anscheinend nichts: Es lehnt das Mercosur-Abkommen mit südamerikanischen Staaten als klimaschädlich bedingungslos ab und eine Ratifizierung des Ceta-Abkommens mit Kanada ebenso, obwohl die befürchteten Folgen ausgeblieben sind. Wie Felbermayr nicht müde wird zu unterstreichen, ist diese Abneigung gegen Handelsabkommen nicht nur wirtschaftspolitisch und mit Blick auf den Wohlstand unklug, sie schlägt der Politik auch „einen wichtigen Hebel aus der Hand, dringend benötigte globale Allianzen für den Klimaschutz zu schließen, vor allem mit Schwellen- und Entwicklungsländern.“
Die deutsche Marktwirtschaft in ihrer bisherigen Form sieht Karl-Heinz Paqué durch das grüne Programm bedroht. So soll die Emissionssenkung von Treibhausgasen um 70 Prozent bis 2030 – „ein extrem ambitioniertes Ziel – durch Grenzwerte, Produktionsstandards, „faire“ Preise und ressourcenschonende öffentliche Beschaffung sowie Verbote, Anreize und Förderungen gelingen. Auch im Wohnungsbau soll die Energiewende durch flächendeckende staatliche Förderung von Solaranlagen und Solardächern vorangetrieben werden. Keineswegs freuen dürfte sich auch die Landbevölkerung – immerhin ein Viertel der Deutschen – über die Pläne: Die Verkehrsinfrastruktur soll gänzlich zugunsten von Schiene und Fahrrad, und zulasten von Auto und Flugzeug verändert werden. Ein kompletter Umstieg auf das Elektrofahrzeug ist alternativlos vorgesehen.
Bürokratiewuchs im Dienste der Klimaverträglichkeit
Darüber hinaus soll es Klimaverträglichkeitsprüfungen bei Genehmigungsprozessen geben. Wenn jegliche politische Maßnahme auf ihre Klimaverträglichkeit getestet werden soll, dann darf man sich auf den Bürokratieanstieg als „Wachstums- und Innovationshemmnis“ schon gefasst machen, meint der deutsche Unternehmer und FDP-Politiker Harald Christ: „Ob diese totregulierte ‚Marktwirtschaft‘ dann allerdings noch genug Menschen Arbeit bietet und überhaupt produktiv funktionieren kann, steht in den Sternen.“
Einig sind sich die Ökonomen aber in einem: Eine zukunftsorientierte Klimapolitik ist grundsätzlich möglich. Sie müsste auf die Chancen der Digitalisierung und Informationstechnologie setzen, sowie auf Ansätze zum ökologischen Bauen, „die viel mehr Flexibilität in der Ausgestaltung erlauben“ (Paqué), und den Innovationsprozess am Markt zulassen. Felbermayer und andere fordern Preise für CO2-Emissionen, die sich in einem „Klimaclub wichtiger Handelspartner“ bilden. Dies sei weit effektivere Klimapolitik, dank der internationalen Zusammenarbeit, die hier entstehen könnte. Sie wäre keineswegs marktfeindlich, würde aber langfristig dem Klima mehr bringen.
Fazit: Es kann nicht das vordringliche Ziel vernünftiger Klimapolitik sein, Deutschland und die EU am Ende zum global isolierten Musterschüler der Klimapolitik zu machen.
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