"Was wir jetzt erleben, ist mit nichts vergleichbar": AMS-Chef im Interview über den Arbeitskräftemangel
Zu Corona-Beginn stieg die Arbeitslosigkeit innerhalb von zwei Wochen um 200.000. Heute fehlt es – fast – überall an Arbeitskräften. Eine solche Hochschaubahn hat es in Österreich noch nie gegeben, sagt AMS-Chef Johannes Kopf in “Chefsache”. Er macht auf eXXpressTV einige überraschende Prognosen über die nächsten Jahre.
Im Jahr 2021 erlebte Österreichs Wirtschaft eine beispiellose Erholung mit zweistelligen Wachstumszahlen, erzählt Johannes Kopf im Interview mit eXXpress-Herausgeberin Eva Schütz. Die Prognosen lagen laufend zu niedrig. Nun haben wir die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 14 Jahren, die Langarbeitslosigkeit hat sich halbiert. “Dieser Wirtschaftsboom ist mit nichts vergleichbar, er ist viel höher als in den 1970er Jahren”, sagt der AMS-Chef. Das ist auch ein Grund für den jetzigen Arbeitskräftemangel, aber nicht der einzige.
Was keiner weiß: Bald werden Frauen länger arbeiten müssen
Der andere Grund ist die Demographie. Was in der öffentlichen Diskussion zurzeit untergehe: Vor Jahrzehnten wurde beschlossen, das Frauenantrittsalter ab 2024 an das der Männer anzupassen, und zwar jährlich um ein halbes Jahr. So ist das in der Verfassung festgelegt. “Damit kommen pro Jahr 20.000 Frauen mehr auf den Markt.”
Darüber hinaus fordert Kopf flächendeckende Ganztagskinderbetreuung über das ganze Jahr hinweg. Die hält er für besonders wichtig. Gerade im ländlichen Raum sei sie nicht gut ausgebaut. “Man muss den Familien eine Wahlfreiheit ermöglichen.” Dieses Anliegen war zunächst ein frauenpolitisches, dann ein soziales, nun ist es ein wirtschaftliches, und deshalb – so hofft Kopf – hat es jetzt auch die höchsten Erfolgschancen. Noch sei man weit davon entfernt. “Mehr als 10 Prozent der Kindergärten sperren um 14 Uhr zu.”
Das Bildungsniveau spielt eine enorme Rolle
Weltweit beneidet werde Österreich hingegen für die Lehre. “Ein großer Vorteil ist hier: Man reagiert sofort auf Veränderungen in der Wirtschaft. Wenn eine neue Maschine in der Wirtschaft verwendet wird, lernt der Lehrling am nächsten Tag an ihr. In der Schule dauert es Jahre, bis sich der Bildungsplan ändert.”
Hoch ist die Arbeitslosigkeit bei den Pflichtschulabschlüssen mit 20 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, über einen Pflichtschulabschluss nicht hinauszukommen, steigt, wenn auch die Eltern nur Pflichtschulabschlüsse haben auf 30 Prozent. Bei Eltern mit Migrationshintergrund beträgt die Wahrscheinlichkeit 50 Prozent. Hier brauche es mehr Unterstützung für Familien mit geringerer Bildung. Positiv ausgewirkt hat sich das verpflichtende Kindergartenjahr. Es verdoppelt für Kinder aus bildungsfernen Familien die Chance auf ein Abitur.
Bald könnte eine Reindustrialisierung einsetzen
Trotz der schwierigen Zeiten – Stichwort Energiekrise – ist Kopf keineswegs pessimistisch. Er rechnet mit einer Reindustrialisierung, sprich: Manche Produktion werden wir zurückkommen nach Europa. In der Corona-Zeit erlitt Europa Milliardenverluste ohne Chips, Medikamente etc. Auch sicherheitspolitische Überlegungen spielen hier eine Rolle.
Warum ausgerechnet in Tourismus und Gastronomie Arbeitskräfte zurzeit mehr denn je gesucht werden, welche Vorteile Hilfskräfte haben, welche falschen Anreize das Arbeitslosengeld in Österreich setzt, warum sich die Arbeitsbedingungen voraussichtlich verbessern werden und selbst eine Vier-Tage-Woche teilweise Realität wird – all das kann man noch in diesem hochspannenden Interview erfahren!
Kommentare