Wifo-Chef Felbermayr: EZB wird ihr Inflationsziel von zwei Prozent aufgeben
Die Notenbanken werden höhere Inflation in Kauf nehmen, um keine Wirtschafts- und Finanzkrise zu riskieren. Davon ist Top-Ökonom Gabriel Felbermayr überzeugt. Die EZB werde sich offiziell von ihrem Inflationsziel von zwei Prozent verabschieden. Dass die Inflation nicht stärker sinkt, liege an den Fehlern der EZB in der Vergangenheit.
Gabriel Felbermayr, Direktor des Institutes für Wirtschaftsforschung (Wifo), sieht die jetzige Wirtschafts- und Finanzsituation pessimistisch. Die Inflation werde nicht mehr so schnell auf zwei Prozent sinken, obwohl dies eigentlich das offizielle Ziel von Notenbanken wie der EZB ist. Schuld sei auch die Geldpolitik der Vergangenheit, wie der Wifo-Boss im Interview mit dem deutschen Medium „The Pioneer“ kritisiert: „Die Notenbanken haben in der Vergangenheit eine falsche Geldpolitik betrieben.“
Das Finanzsystem ist zu zerbrechlich
Um die Wirtschaft und das Finanzsystem nicht zu belasten, wird die EZB ihr Ziel von durchschnittlich zwei Prozent bald aufgeben, prognostiziert der Top-Ökonom. Mit starken Zinsanhebungen rechnet er nicht mehr: „Die Zinsen können nur noch in einem Symbol-Bereich steigen.“ Das Finanzsystem sei nämlich „sehr fragil“. Aus Angst vor Bank Runs würden die Notenbanken in Europa und den USA wohl mehr Inflation zulassen, „als ihr Mandat eigentlich erlaubt. Die Finanzmarktstabilität lässt keine härteren Zinsschritte mehr zu.“
In den USA werde der Leitzins wohl noch um 25 Basispunkte steigen, in Europa vielleicht um 50 Basispunkte oder zweimal 25 Basispunkte. Der Markt würde aber diese Zinssprünge verkraften, weil er mit ihnen bereits rechnet. Dem Anleihen- und Aktienmarkt würden die Zinserhöhungen nicht übermäßig zusetzen. Das Problem: „Um die Inflation nachhaltig zu drücken, bräuchten wir wahrscheinlich noch mehrere Zinsschritte. Die wird es aber nicht geben können.“
Inflation bleibt hoch, trotz sinkender Energiepreise
Künftig würden drei Prozent „die neue Realität“ sein. In eine Hyperinflation werde man aber nicht hineinlaufen. Gegenüber Prognosen, wonach es schon Mitte 2024 eine Inflation von zwei Prozent geben wird, ist der Wirtschaftsexperte skeptisch. „Ohne eine dicke Rezession ist das Zwei-Prozent-Ziel nicht erreichbar.“
Ein wichtiger Grund dafür: Die Kerninflation, bei der die volatilen Energie- und Lebensmittelpreise herausgerechnet werden, hält sich hartnäckig. Obwohl die Energiepreise stark sinken, bleibt sie stabil. Damit haben viele Ökonomen nicht gerechnet, mit wenigen Ausnahmen, wie dem ehemaligen Ifo-Direktor Hans-Werner Sinn. Genau daran sei die falsche Geldpolitik der Notenbanken schuld.
Die Ausweitung der Geldmenge in den vergangenen Jahren rächt sich
Der Grund ist das sogenannte Quantitative Easing, bei dem die EZB Anleihen von Banken kauft und damit die Geldmenge ausweitet. Das hat demnach nachhaltig zur Inflation beigetragen – auch ohne Ukraine-Krieg und Energiekrise.
Felbermayer: „Die Zentralbanken haben in der Niedrigzinsphase bis Anfang 2022 Anleihen von Staaten und Unternehmen aufgekauft und halten diese jetzt in ihren Bilanzen. Der Anleihenkauf hat die Volkswirtschaften mit Liquidität versorgt. Das hat zu der heutigen Situation geführt, dass viele Banken und Unternehmen immer noch auf hohen Cashreserven sitzen und höhere Preise etwa bei Rohstoffen einfach bezahlen können. Das bedeutet, dass die Preis-Anpassungswünsche von Unternehmen immer noch gut durchsetzbar sind und sich durch die gesamte Wertschöpfungskette fressen. Das läuft dann direkt in die Kerninflation hinein.“
Deshalb dürfte die EZB auch bei einer anderen Maßnahme zur Inflationssenkung an ihre Grenzen stoßen, nämlich beim Gegenstück des Quantitative Easing, dem Quantitative Tightening: dem Verkauf von Anleihen durch die Notenbanken, um die Geldmenge zu reduzieren. Auch diese Maßnahmen soll die Inflation und die Nachfrage drücken, nur würde sie damit ebenfalls „die Finanzstabilität gefährden, bis hin zu einer Neuauflage der Euroschuldenkrise.“
Kurz: Nachdem die Notenbanken ihre Bilanzen durch den Ankauf von Anleihen so stark aufgebläht haben, werden sie diese nicht so einfach reduzieren können. Was bisher in diese Richtung unternommen wurde, sei „viel zu wenig“.
Die Finanzminister haben wenige Möglichkeiten, die Inflation zu senken
Der Wifo-Boss ist überzeugt, dass das Zwei-Prozent-Ziel „bald auch offiziell aufgegeben wird. Unter anderem auch deswegen, weil sich die Notenbankpolitik zusätzlichen Zielen verschrieben hat.“
Die Finanzminister hätten noch Möglichkeiten, die Inflation zu senken, aber hier ist Felbermayer ebenfalls skeptisch. Dazu müssten sie die Staatsausgaben senken. „Aber eigentlich muss der Staat ja gerade mehr für Rüstung und die Energiewende ausgeben.“
Ein weiterer Grund für die steigende Inflation sei der „Trend der Deglobalisierung“.
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