Paukenschlag in Wirecard-Affäre: Gläubiger dürfen auf Schadenersatz hoffen
Im Gerichtsprozess rund um den brisantesten Finanzskandal der letzten Jahre hat sich nun eine unerwartete Wendung zugunsten der Gläubiger ergeben: Das Oberlandesgericht München attestierte der ersten Instanz “mangelnde Sachkunde” und lässt frustrierte Anleger somit nun doch noch auf Schadenersatz hoffen. Es geht um Milliarden.
Der Prozess rund um den wohl größten und aufsehenerregendsten Finanzskandal der letzten Jahre lässt mit einer brisanten neuen Entwicklung aufhorchen: Wirecard-Gläubiger, die nach massiven Verlusten in erster Instanz des Prozesses in ihren Ansprüchen auf Schadenersatz gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY abgewiesen wurden. Der Hintergrund: EY hatte die falschen Bilanzen des ehemaligen Dax-Konzerns testiert. Doch am Donnerstag kam die Wendung, als das Oberlandesgericht München, welches mit der Sache betraut ist, in einem vorläufigen Hinweis gravierende Zweifel an den Gerichtsentscheidungen der ersten Instanz publik machte. Damals hatte das Landgericht Klagen gegen EY ohne weitere Beweisaufnahme abgewiesen. Doch nun sieht die Lage anders aus: Damals hätte das Landgericht – analog zum Dieselskandal – sehr viel genauer prüfen müssen, ob EY vorsätzlich sittenwidrig handelte, so das OLG nun.
Kein Erfolg garantiert
Wie der deutsche “Spiegel” berichtet, ist mit diesem neuen Paukenschlag aber noch lange nicht abgesichert, dass die Wirecard-Gläubiger nun doch noch Geld sehen. Auch bedeute der “vorläufige Hinweis” des OLG München nicht, dass es die Wirtschaftsprüfer von EY “in jedem Fall für mitverantwortlich” halte. Was allerdings eingeräumt wird, und das ziemlich deutlich, ist, dass das Landgericht sich nach seiner Einschätzung viel zu oberflächlich mit dem Fall befasst habe. Der Senat bemängelt, dass es dem Landgericht wohl an “eigener Sachkund” fehle, um die in einem Gutachten der Prüfungsgesellschaft KPMG erhobenen Vorwürfe gegen EY zu beurteilen. Dafür wäre laut OLG ein Sachverständigengutachten angebracht gewesen.
Das Oberlandesgericht hält dem Landgericht zudem vor, den Bericht des Wirecard-Untersuchungsausschusses im Bundestag ignoriert zu haben, und zwar “gehörswidrig” zum Nachteil der klagenden Anleger. Das OLG empfahl dem Landgericht, ein Musterverfahren zu eröffnen. Als Option erwägt das OLG demnach aber auch, das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen, um die bislang fehlende umfangreiche Beweisaufnahme nachzuholen.
Schaden in zweistelliger Milliardenhöhe
Zur Erinnerung: Vor 1,5 Jahren, im Juni 2021, hatte Wirecard zuerst erfundene Buchungen in Höhe von 1,7 Milliarden Euro eingeräumt und wenig später Insolvenz angemeldet. Die Wirtschaftsprüfer von EY hatten die Bilanzen des Unternehmens zuvor über Jahre geprüft und testiert, ohne den mutmaßlichen Betrug zu entdecken. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Vorstand wie eine kriminelle Bande agierte und die Bilanzen jahrelang bewusst fälschte, um Bankkredite und Investorengelder zu erschleichen. Der frühere Vorstandschef Markus Braun sitzt seit fast eineinhalb Jahren in Untersuchungshaft, der aus Österreich stammende Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek ist nach wie vor ebenso wie vom Erdboden verschluckt wie 1,9 Milliarden Euro – und dadurch einer der “Most Wanted” der Europol.
Für die Aktionäre bedeutete die Wirecard-Pleite enorme Verluste in zweistelliger Milliardenhöhe. Deswegen sind beim Münchner Landgericht Hunderte von Schadensersatzklagen gegen EY eingegangen, die bislang abgewiesen wurden.
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