Die meisten Österreicher zahlen weniger in den Sozialstaat ein, als sie von ihm bekommen
Sechs von zehn Österreichern erhalten mehr vom Sozialstaat als sie einzahlen. Das hat die Denkfabrik Agenda Austria berechnet. Die Folgen der Corona-Krise hat sie dabei noch nicht berücksichtigt. Die Politik wird sich was einfallen lassen müssen, damit der österreichische Sozialstaat finanzierbar bleibt.
Zurzeit zahlen die meisten Menschen weniger in den Sozialstaat ein, als sie von ihm erhalten. Oder mit anderen Worten: Es gibt mehr Nettoempfänger als Nettozahler. Zu diesem überraschenden Befund kommt die Wiener Denkfabrik “Agenda Austria”. Dabei wurden hierbei die Auswirkungen der Corona-Pandemie noch nicht einmal berücksichtigt.
Der Anteil der leistungsfähigen Menschen, die den Sozialstaat finanzieren, in ihn also mehr einzahlen als zurückbekommen, ist zu gering. Diese Situation wird sich in der Zukunft nicht bessern. Im Gegenteil: Aufgrund der demographischen Entwicklung kommen Österreich das Pensionssystem und die Pflege immer teurer. Man wird sich was einfallen lassen müssen, wenn der Sozialstaat finanzierbar bleiben soll.
Mehr als die Hälfte sind Nettoempfänger
“Sechs von zehn Haushalten erhalten mehr aus den öffentlichen Kassen, als sie einbezahlen”, sagt die Denkfabrik. Mehr als die Hälfte der Österreicher profitiert daher sehr stark vom Sozialstaat, kann ihn aber auch nicht aufrecht erhalten. Dafür sorgen die restlichen Haushalte, die mehr einzahlen als sie zurückbekommen.
“Die ärmsten fünf Prozent der Haushalte empfangen im Schnitt jährlich um 15.000 Euro mehr an Leistungen vom Staat, als sie diesem überweisen, während die reichsten fünf Prozent rund 63.000 Euro im Jahr mehr an den Staat zahlen, als sie von diesem zurückbekommen.” Die Grenze verläuft bei einem Singlehaushalt, der jährlich rund 33.000 Euro verdient: Er zahlt in etwa gleich viel ein, wie er bekommt. Wer mehr verdient, zahlt mehr ein, als er bekommt, bei jenen, die weniger verdienen, ist es umgekehrt. Die Grenze ist natürlich fließend.
Die Agenda Austria hat in ihre Berechnungen wesentliche Faktoren mit einbezogen, die in anderen Untersuchungen meist unter den Tisch fallen.
Zusätzlich zu den direkten Abgaben und Steuern (z.B. Einkommenssteuer, Sozialversicherung, Kfz-Steuer) und direkten Geldtransfers (z.B. Arbeitslosengeld, Pension) hat sie zum einen die indirekten Steuern berücksichtigt, die beim Einkaufen die Geldbörse belasten, also Mehrwert-, Mineralöl- und Tabaksteuer. Diese kommen besonders ärmere Schichten teuer. Andererseits hat die Wiener Denkfabrik auch Sachleistungen des Staates miteinberechnet, also Leistungen des Bildungs- und des Gesundheitssystems. Von ihnen profitieren ärmere Schichten ganz besonders.
Im Durchschnitt ist man 40 Jahre lang Nettozahler
In Österreich wächst man zunächst als Nettoempfänger auf. Man profitiert als Kind stark vom Bildungssystem, ohne vorher in den Sozialstaat eingezahlt zu haben. Sobald man die Ausbildungszeit verlässt und in das Berufsleben eintritt, beginnt die Phase als Nettozahler, im Schnitt ab dem 25. Lebensjahr.
“Mit 34 Jahren sind die Bildungsleistungen, die wir im klassischen Bildungssystem (Schule und Universität) erhalten, für die meisten Menschen beendet. Die 50- bis 54-Jährigen stellen die zahlungskräftigste Gruppe im System dar. Durchschnittlich übersteigen in dieser Alterskohorte die Einzahlungen durch Steuern und Abgaben die erhaltenen Leistungen jährlich um knapp 20.000 Euro.”
Sobald man in Pension geht, gehört man wieder zu den Nettoempfängern, dieser Übergang findet in Österreich durchschnittlich zwischen dem 60. und 64. Lebensjahr statt.
Ein teures Schulsystem, mit wenig Nutzen für die Schüler
Neuerlich zeigt sich, was Ökonomen schon oft gesagt haben: Österreich wird irgendwann an einer Pensionsreform nicht vorbeikommen. Darüber hinaus sollte man das Geld gerade im Bildungsbereich dorthin lenken, “wo es wirklich gebraucht wird”, wie die Agenda Austria fordert. Zurzeit geschieht das nicht:
“Österreich gehört im internationalen Vergleich zu den Ländern mit den höchsten Bildungsausgaben pro Schüler. Dieses Geld muss aber auch bei den Schülern ankommen. Das ist nicht der Fall, wie alle internationalen Bildungsvergleiche zeigen. Österreich ist trotz hohem Mitteleinsatz nur Mittelmaß. Besonders schlecht sieht die Lage für Kinder aus bildungsfernen Haushalten aus.”
Künftig könnte man die Finanzierung der Schulen an einen Sozialindex koppeln, “der überall dort mehr Geld bereitstellt, wo die Herausforderungen höher sind”. Ebenso fordert die Agenda Austria mehr Autonomie für die Schulen.
"Corona-Effekt temporär halten"
In der Corona-Pandemie hat sich die Situation zusätzlich verschärft. Die staatlichen Hilfen sind mit der hohen Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit ebenfalls gestiegen. Der Anteil der Nettozahler ist seither um knapp 20 Prozentpunkte gesunken, wie die Agenda Austria aufzeigt. “Das wiederum bedeutet: Im Zuge der Pandemie ändert sich das Verhältnis von Nettozahlern und Nettoempfängern auf 55:45.” Hier wurden aber weder die Sachleistungen noch die indirekten Steuern berücksichtigt, weil die Zahlen noch fehlen.
Die Agenda Austria fordert Anreize für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, um die Rückkehr ins Erwerbsleben zu beschleunigen. Sie setzt hier große Hoffnungen in Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP).
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