Der Kampf gegen den Antisemitismus sei “ein Marathon und kein Sprint”. Das sagte Europa- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Montag beim World Summit on Counter-Terrorism in der israelischen Stadt Herzliya. Die Ministerin zeigte sich in ihrer Rede “ernsthaft besorgt über den steigenden Antisemitismus nicht nur in Österreich und Europa, sondern weltweit”. Edtstadler tauschte sich am Nachmittag auch mit Israels Präsident Yitzhak Herzog zu dem Thema aus. Herzog habe den Wunsch geäußert, Österreich zu besuchen, berichtet die Ministerin.

Antisemitismus seit Angriffen der Hamas wieder zugenommen

Antisemitische Vorfälle haben in jüngster Zeit wieder zugenommen, etwa in der Corona-Zeit und dann besonders während der Attacken der radikalislamischen Terrororganisation Hamas auf Israel. Jahrtausende alte Vorurteile könnten nicht einfach getilgt werden, meint Edtstadler. Es bedürfe der Anstrengungen aller, “um dieses Virus des Hasses zu bekämpfen”.

Die Europaministerin spricht auf der großen Anti-Terror-KonferenzBKA/Schrötter

Österreich habe eine entschlossene Haltung gegen Antisemitismus auf internationaler und nationaler Ebene eingenommen und habe auch Maßnahmen zur Entschädigung von NS-Opfern ergriffen, versicherte die Europaministerin. “Wir können die von Österreichern begangenen Gräueltaten während des Nazi-Regimes nicht wiedergutmachen. Aber ich kann versprechen, dass wir immer alles in unserer Macht stehende tun werden, um Juden vor Antisemitismus zu beschützen.”

Zahlreiche Initiativen Österreichs in jüngster Zeit

Als österreichische Initiativen nannte Edtstadler die 2018 unter österreichischer EU-Ratspräsidentschaft verabschiedete erste EU-Erklärung gegen Antisemitismus, die 2021 vorgelegte nationale Strategie gegen Antisemitismus mit 38 Maßnahmen und das Österreichisch-Jüdische Kulturerbegesetz von 2021. Im November 2021 sei die Shoah-Gedenkmauer mit 64.440 Namen von in der NS-Zeit ermordeten österreichischen Juden eröffnet worden.

Heuer habe Österreich die erste Europäische Antisemitismus-Konferenz in Wien initiiert, die fortan jährlich stattfinden soll. Zudem habe Österreich ein nationales Forum gegen Antisemitismus unter Einbindung der öffentlichen Stellen und der Zivilgesellschaft ins Leben gerufen.

Hohes Interesse an österreichischer Staatsbürgerschaft unter Holocaust-Überlebenden

Edtstadler verwies darüber hinaus auf das 2019 geänderte Staatsbürgerschaftsrecht, das die Vergabe von Staatsbürgerschaften nunmehr auch an die Nachkommen von Holocaust-Verfolgten ermöglicht. “Bis jetzt haben etwa 21.000 Überlebende und ihre Nachkommen angesucht. Mehr als 14.000 Staatsbürgerschaften wurden zuerkannt und weitere werden folgen”, berichtete Edtstadler.

Besonders zahlreiche Anfragen nach der österreichischen Staatsbürgerschaft gibt es in Tel AvivBKA/Schrötter

Zuvor wurde am Sonntag acht israelischen Nachkommen von Verfolgten des Nationalsozialismus in Tel Aviv die österreichische Staatsbürgerschaft überreicht. Die Bescheide wurden in einer Zeremonie an der Botschaftsresidenz in Herzliya von Edtstadler und Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) übergeben. Beide sprachen von einer symbolischen Geste, die es den Betroffenen ermöglichen sollte, sich wieder mit Österreich zu verbinden.

Edtstadler erinnerte daran, dass das österreichische Parlament 2019 in Wahrnehmung der historischen Verantwortung die Grundlage für die Überreichung der Staatsbürgerschaften an Nachkommen von NS-Vertriebenen geschaffen hatte. “Wir hätten nicht gedacht, dass so viele darum ansuchen werden”, sagte Edtstadler.

"Es tut mir leid, dass das meine Großmutter nicht mehr gesehen hat"

Nach Angaben des Bundeskanzleramtes wurden bisher rund 14.000 Staatsbürgerschaftsbescheide an Holocaust-Überlebende und ihre Nachfahren überreicht, rund 21.000 Personen haben ihr Interesse an der österreichischen Staatsbürgerschaft bekundet. Tel Aviv steht bei den Verfahren an der Spitze, gefolgt von London und Washington.

Zwei der neuen österreichischen Staatsbürger sind der in Tel Aviv lebende Kunst-Professor und Schriftsteller Yirmi Waldmann Pinkus und sein neunjähriger Sohn Noah. Die Großmutter des Vaters wurde 1919 in Wien geboren und floh Ende der 30er-Jahre aufgrund antisemitischer Verfolgung über Triest nach Palästina.

“Es tut mir leid, dass meine Großmutter das nicht mehr gesehen hat. Sie hatte keinen Hass”, freute sich Pinkus über die österreichische Staatsbürgerschaft. Ganz in der Tradition seiner Großmutter spricht er fließend Deutsch. Von Kaisersemmeln, Strudel, Schnitzel bis zu Operetten und Mozart habe es in seiner Familie immer typisch österreichische Erinnerungen gegeben, “sogar der Wiener Schmäh ist geblieben”, erzählt Pinkus. In Kürze will er mit der ganzen Familie Österreich besuchen, auch sein Sohn soll Deutsch lernen.