Ein knappes halbes Jahr nach dem Attentat auf ihn leidet Salman Rushdie noch immer körperlich und mental. “Ich fand es sehr, sehr schwierig zu schreiben. Ich setze mich hin, um zu schreiben, und nichts passiert. Ich schreibe, aber es ist eine Kombination aus Leere und Schrott, Sachen, die ich schreibe und die ich am nächsten Tag wieder lösche. Ich bin noch nicht aus diesem Wald heraus”, sagte der britisch-indische Autor dem Magazin “New Yorker” in einem am Montag veröffentlichten Interview.

Rushdie (75) war am 12. August des Vorjahres bei einer Literaturveranstaltung im US-Bundesstaat New York von dem islamistischen Attentäter Hadi Matar (24) angegriffen und schwer verletzt worden – er ist seitdem auf einem Auge blind. Rushdie wird seit Jahrzehnten von religiösen Fanatikern verfolgt. Wegen des Romans “Die satanischen Verse” hatte der damalige iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini im Jahr 1989 dazu aufgerufen, den Schriftsteller zu töten.

Der ehemalige iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini rief im Jahr 1989 dazu auf, den Schriftsteller zu töten.Quelle: Grant Pollard/Invision/AP

Salman Rushdie: "Ich versuche, vorwärts zu blicken und nicht rückwärts."

Den Verantwortlichen des öffentlichen Events, bei dem er mit dem Messer attackiert wurde, macht Rushdie keine Vorwürfe. Nach dem Attentat war Kritik laut geworden, weil es bei der Veranstaltung keine Metalldetektoren gab, durch die man auf die Waffe des Angreifers aufmerksam hätte werden können. Stattdessen hatte man Kontrollen darauf beschränkt, das Publikum nach mitgebrachten Getränken zu durchsuchen.

“Ich habe die letzten Jahre immer wieder versucht, Anschuldigungen und Verbitterung zu vermeiden”, sagt Rushdie. “Ich versuche, vorwärts zu blicken und nicht rückwärts. Was morgen passiert, ist wichtiger als was gestern war.”

Trotzdem falle ihm das Schlafen nicht immer leicht: “Es gab Albträume – nicht genau der Vorfall, aber einfach beängstigend.” Ihm gehe es ansonsten aber gut, so Rushdie. Er könne aufstehen und herumlaufen. Das Tippen falle ihm schwer, weil er das Gefühl in einigen Fingern verloren habe. Es sei ein “kolossaler Angriff” gewesen. Rushdies neues Buch “Victory City” soll am Dienstag auf Englisch erscheinen. Die Veröffentlichung der deutschen Übersetzung ist für den April geplant.

Ayatollah Khomeini: "Ich setze das stolze Volk der Muslime in aller Welt davon in Kenntnis, dass der Autor des Buches 'Die satanischen Verse' - das sich gegen den Islam, den Propheten und den Koran richtet - und alle an seiner Publikation Beteiligten zum Tode verurteilt sind."Quelle: Picture Alliance

14. Februar 1989 – Mordaufruf (Fatwa) Khomeinis gegen Salman Rushdie

Am Valentinstag 1989 verbreitet Radio Teheran keine Liebesgrüße. Ayatollah Khomeini hat eine andere Botschaft: “Ich setze das stolze Volk der Muslime in aller Welt davon in Kenntnis, dass der Autor des Buches ‘Die satanischen Verse’ – das sich gegen den Islam, den Propheten und den Koran richtet – und alle an seiner Publikation Beteiligten zum Tode verurteilt sind.”

Das politische und religiöse Oberhaupt des Iran eröffnet damit eine Jagd: “Ich fordere alle Muslime auf, sie hinzurichten, wo immer sie sich auch befinden.”

Noch am selben Tag bezieht Scotland Yard in London Stellung vor dem Haus von Salman Rushdie. Er ist der Autor der “satanischen Verse” und hat durch einen Anruf der BBC vom Mordaufruf erfahren. Der Schriftsteller mit indisch-pakistanischen Wurzeln verbarrikadiert sich sofort: “Ich rannte die Treppe runter, verriegelte die Vordertür und schloss die Fensterläden.”

Zehn Jahre verbringt Rushdie anschließend im Verborgenen. In den ersten Monaten wechselt er 75 Mal sein Versteck. Seine Leibwächter bringen ihn unter anderem auf entlegene Bauernhöfe in Schottland und Wales.

Vorwurf: Gotteslästerung

Anlass der sogenannten Fatwa – ein von islamischen Gelehrten erstelltes Rechtsgutachten – ist eine umstrittene Episode, die Rushdie in seinem Roman thematisiert.

In der Entstehungszeit des Islam soll demnach der Teufel dem Propheten Mohammed bei der Abfassung des Koran falsche, die sogenannten satanischen Verse eingeflüstert haben. Orthodoxe Muslime bestreiten das und bezichtigen den Autor deshalb der Gotteslästerung und Beleidigung des Propheten.

Attentate auf Übersetzer

Rushdies “Die satanische Verse” werden nach ihrem Erscheinen 1988 zunächst in seinem Geburtsland Indien verboten. Innerhalb weniger Wochen setzen zehn weitere Länder den Roman auf den Index. Dann folgt Khomeinis Aufruf, der auch nach seinem Tod im Juni 1989 weiter gilt – mit tödlichen Folgen.

1991 wird der japanische Übersetzer der “satanischen Verse” ermordet, der italienische bei einem Attentat schwer verletzt. Rushdie schreibt dennoch weiter und tritt öffentlich auf – allerdings selten und unter großen Sicherheitsvorkehrungen.