Michel Roccati freut sich: „Die ersten Schritte waren unglaublich – ein Traum wurde wahr!“ Er war nach einem Motorradunfall im Rollstuhl gelandet. Nur wenige Tage dauert es, bis Patienten dank der neuen Therapiemethode erste Schritte auf einem Laufband gehen können. Nach monatelangem Training kann Roccati mit einem Rollator jetzt schon 500 Meter am Stück laufen und sogar Treppen steigen. Doch er ist ein Vorzeige-Patient. Nicht in allen Fällen erzielt die Therapie so große Erfolge.

Entdeckung aus der Schmerztherapie

Die neue Methode stammt ursprünglich aus der Schmerztherapie. Chronische Schmerzen werden durch Rückenmarkstimulation mittels elektrischer Impulse gelindert. Zwei Forscher aus der Schweiz, Jocelyne Bloch und Grégoire Courtine, erkennen bereits 2018, dass diese Art der Behandlung auch über Grenzen der Schmerztherapie hinaus eingesetzt werden kann.

Elektrische Impulse mittels Elektroden

Seither stehen weiterführende Forschungen an der Tagesordnung. Insgesamt analysieren sie 27 Wirbelsäulen und erstellen Computermodelle. Aktuell wird mit einer implantierten Folie therapiert, die mit 16 Elektroden versehen ist. Diese geben kleine elektrische Impulse an Nervenbahnen ab, die zu motorischen Neuronen in der Wirbelsäule führen. Der gesamte Vorgang ist mit einem Tablet steuerbar. Auf diese Weise soll in Zukunft nicht nur das Stehen und Gehen möglich sein, sondern auch andere Aktivitäten, wie das Schwimmen oder Liegerad-fahren.

Skeptische Stimmen

Trotz Erfolgen bei zwei weiteren Personen äußern sich Mediziner skeptisch zu der Studie. Sie kritisieren, dass nur wenige Betroffene durch die neue Therapiemethode wieder laufen werden können. Der Mediziner Winfried Mayr vom Zentrum für Medizinische Physik behauptet gegenüber dem Science Media Center, die drei Patienten hätten „mit Sicherheit besonders günstige Voraussetzungen, die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle fehlen“. Die besten Erfolge konnten bei Patienten mit noch minimal vorhandener Beweglichkeit in den Beinen und Füßen erzielt werden. Therapieerfolge für die Mehrheit der Gelähmten seien daher in aktueller Form nicht möglich.

Auch der Mediziner Norbert Weidner vom Universitätsklinikum Heidelberg bemängelt die Übertragung auf größere Patientengruppen. Er bezweifelt, dass die Therapiemethode in naher Zukunft Anwendung im klinischen Alltag finden wird.