Noch vor kurzem hätte man das für undenkbar gehalten, doch am Freitag wurde es in Hamburg Realität, mit Genehmigung der Behörden: Mitten auf der Straße erschallen ungehindert antisemitische Sprechchöre, die das Ende Israels fordern. Es sind radikalislamische Extremisten, die solches ausrufen. Uniformiert wie eine Miliz stehen sie in Reih und Glied. Ali Ertan Toprak – er gehört der Kurdischen Gemeinde in Deutschland an und ist Mitglied der CDU – hat ein Video vom martialischen Aufmarsch auf Facebook gestellt. Er ist entsetzt: “Es ist unerträglich! Das dürfen wir als Staat und Gesellschaft nicht länger zulassen.”

Die ignorierten Warnungen des Verfassungsschutzes

Die Vereinigung, die da ungehindert gegen Israel hetzt, nennt sich “Muslim Interaktiv”. Ihr Auftritt wurde von den Behörden zuvor genehmigt, obwohl der Hamburger Verfassungsschutz bereits vor der Gruppierung gewarnt hat. Muslim Interaktiv ist kein unbeschriebenes Blatt. Seit 2020 macht die Gruppe auf Facebook, Instagram und YouTube auf sich aufmerksam.

Die Anhänger kommen gemäß Erkenntnissen des Verfassungsschutzes aus den Reihen der radikalislamischen Bewegung Hizb ut-Tahrir, die 2003 vom damaligen deutschen Innenminister Otto Schily (SPD) verboten wurde. Wegen ihrer radikalen Kampfrhetorik gegen Israel richte sich Hizb ut-Tahrir gegen den Gedanken der Völkerverständigung und befürworte Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele, erklärte damals das Innenministerium. Sie verbreite antisemitische Hetzpropaganda und fordere zur Tötung von Juden auf.

Muslim Interaktiv vergleicht Kanzler Kurz mit Hitler

Im November 2020 demonstrierten die Anhänger in Berlin gegen Kanzler Kurz und verglichen die Maßnahmen gegen den Islamismus mit dem Hitler-RegimeScreenshot von Youtube-Video

Österreichs Botschaft in Berlin hat bereits höchste ungute Erfahrungen mit den radikalen Islamisten gemacht. Am 20. November 2020 protestierten die Anhänger von Muslim Interaktiv unter dem Titel “Rassismus und Diskriminierung in Österreich” vor der Botschaft. Auch damals trugen die etwa 100 Teilnehmer einheitliche Masken und verwendeten dieselben Fahnen wie in Hamburg. In einem YouTube-Video vergleicht die Gruppierung die von Bundeskanzler Sebastian Kurz geplante Einführung des Tatbestandes “Politischer Islam” mit dem Agieren Nazi-Deutschlands. Wörtlich heißt es darin: “Im Jahr 2020 geht es nicht um die Marginalisierung von Juden, sondern der islamischen Glaubensgemeinschaft Österreichs”.

Unvereinbarkeit mit Demokratie wird offen ausgesprochen

Dem österreichischen Islamismusforscher Moussa Al-Hassan Diaw zufolge treten die Anhänger von Hizb ut-Tahrir weniger “vorsichtig” auf, als andere islamistische Gruppierungen. Von anderen Vertretern des Politischen Islam unterscheide Hizb ut-Tahrir “die klar formulierte ideologische Absicht und Zielsetzung bezüglich eines politisch-islamischen Programms. Die Unvereinbarkeit von Demokratie und ihren religiös begründeten ideologischen Grundsätzen wird weder bestritten noch verschleiert, sondern offen formuliert.”

Innenminister Nehammer: Das ist "Gutheißung von Terror"

Innenminister Karl Nehammer: "Stehen Seite an Seite mit Israel im Kampf gegen den Terrorismus"APA/GEORG HOCHMUTH

In Österreich erschallten auf einer Demo am 12. Mai in Wien ebenfalls antisemitische Sprechchöre. Spätere Anti-Israel-Demonstrationen wurden daher verboten.

Angesprochen auf den Anti-Israel-Aufmarsch in Hamburg und das Agieren der Islamisten unterstreicht Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) gegenüber dem eXXpress: “Wir erkennen hier eine besonders perfide Form der Täter-Opfer Umkehr – und der Gutheißung von Terrorismus. Extremismus – egal ob politisch oder religiös motiviert – gefährdet unser friedliches Zusammenleben.” Ebenso bekräftigt der Innenminister: “Österreich ist eine gewachsene demokratische Gesellschaft – getragen von einem klaren Bekenntnis zu Toleranz und Rechtsstaatlichkeit. Österreich steht Seite an Seite mit Israel im Kampf gegen den Terrorismus. Der Kampf gegen jede Form von Antisemitismus ist Teil der österreichischen Identität und unsere historische Verantwortung.”

Entsetzen bei Hamburger CDU

Der Landesvorsitzender der Hamburger CDU Christoph Ploß ist entsetzt und sieht die rot-grüne Stadtregierung gefordert: “Das milizartige, martialische Auftreten, das einschüchtern und verängstigen soll, ist alarmierend. Wir fragen uns, warum eine Nachfolgeorganisation der seit 2003 verbotenen Hizb ut-Tahrir, vor der das Landesamt für Verfassungsschutz warnt, ihre judenfeindlichen Parolen ungehindert auf Hamburgs Straßen verbreiten kann. Wieso ist der Senat nicht gegen diesen Verein vorgegangen und hat im Vorwege ein Demonstrationsverbot erteilt? Politik und Staat dürfen nicht zulassen, dass diese antisemitische Hetze zum Alltag in Deutschland wird.”

Bilder vom milizartigen Auftritt in HamburgScreenshots