Nach dem knappen Ausgang der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag vom Sonntag ist noch unklar, wer Deutschland in den nächsten vier Jahren regieren wird. Fest steht aber, dass die Union zum Ende der Ära Merkel auf das schlechteste Ergebnis bei einer nationalen Wahl in ihrer Geschichte zurückgefallen ist. Kaum ein Viertel der Bürger hat der einstigen Volkspartei am Sonntag noch ihre Stimme gegeben. Merkel will sich nun aus der Politik zurückziehen – und hinterlässt eine geschwächte Partei.

Noch gab sich Kanzlerkandidat Armin Laschet, der in Merkels Fußstapfen treten will, kämpferisch. “Wir werden alles daran setzen, eine Bundesregierung unter Führung der Union zu bilden”, bekräftigte der CDU-Chef am Sonntagabend. Doch Grund zum Feiern hatten eher die Sozialdemokraten (SPD), Merkels langjähriger Juniorpartner in diversen schwarz-roten Koalitionen.

Ihr Kanzlerkandidat, der bisherige Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz, hat es geschafft, eine am Boden liegende Partei wieder aufzurichten. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 legte Deutschlands älteste Partei um rund fünf Punkte zu, im Vergleich zur Europawahl 2019 sogar um etwa zehn Punkte. Die SPD, die zuletzt mit Gerhard Schröder (1998-2005) einen Kanzler stellte, ist wieder da.

In Deutschland wählen die Bürger den Kanzler nicht direkt, dies entscheiden die Abgeordneten des Bundestages. Aber nach allen Meinungsumfragen war es vor allem die Person des Kanzlerkandidaten, die der SPD das Stimmenplus bescherte. Auf die Frage, wer das Land am besten aus der Krise führen könnte nannten laut Infratest dimap 60 Prozent der Befragten Scholz, 25 Prozent Laschet und 18 Prozent die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Laut ZDF-Politbarometer war der SPD-Mann der einzige, dem eine Mehrheit der Befragten das Amt zutraute.

Scholz will führen

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Laschet tat sich schwer damit, gleichzeitig als Merkels Erbe und Mann der Erneuerung dazustehen. Hinzu kamen einige ungeschickte öffentliche Auftritte im Wahlkampf. Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Karl-Rudolf Korte kämpfte Laschet nach den langen Merkel-Jahren aber ohnehin auf verlorenem Posten. “Es gibt auch einen Countdown des Machtverfalls, nach 16 Jahren ist das nicht unerwartet. Da hätte ein Kaiser kandidieren können, der hätte das auch nicht aufgehalten”, sagte er in einem Zeitungsinterview.

Auch sein Kollege Oskar Niedermayer wollte den Abstieg der Christdemokratie nicht nur an der Person Laschets festmachen. Es gebe auch “eine inhaltliche Entkernung der Partei”. Viele Wähler wüssten einfach nicht mehr, wofür die Union heute stehe. Zugleich erinnerte er an das warnende Beispiel anderer christdemokratischer Parteien in Europa, die nach Wahldesastern zusammenbrachen und nie mehr zu alter Stärke zurückfanden.

Nach den langen Merkel-Jahren stand Scholz in den Augen vieler Bürger noch am ehesten für Kontinuität. Das mussten auch die Grünen erfahren, die noch im Frühjahr davon geträumt hatten, selber ins Bundeskanzleramt einzuziehen. Sie landeten mit Kanzlerkandidatin Baerbock abgeschlagen auf Platz drei. Ihr Stimmenergebnis bedeutet zwar eine deutliche Verbesserung zur Bundestagswahl 2017, aber eine Verschlechterung seit der Europawahl 2019, als sie erstmals auf nationaler Ebene über 20 Prozent bekamen.

Scholz bekräftigte am Sonntagabend, seinen Führungsanspruch. “Die Bürgerinnen und Bürger wollen einen Wechsel. Sie wollen, dass der nächste Kanzler der Kanzlerkandidat der SPD ist”, sagte er. Doch die Regierungsbildung könnte schwierig werden. Für seine rot-grüne Wunschkoalition reichen die Stimmen nicht, ein mögliches Linksbündnis mit der Partei die Linke hatte nach ersten Hochrechnungen vom Sonntag auch keine Mehrheit.

Da bliebe nur die “Ampel”, also ein Bündnis von SPD und Grünen mit den Liberalen. Hier gibt es aber deutliche Gegensätze vor allem in der Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik. Eine Einigung, bei der beide Seiten das Gesicht wahren können, wird schwierig. Laschet könnte seinerseits versuchen, ein “Jamaika”-Bündnis (Schwarz-Gelb-Grün) mit FDP und Ökopartei zu schmieden, doch es ist fraglich, warum sich die Grünen, die lieber mit Scholz regieren wollen, auf seine Seite schlagen sollten. Bis zur Vereidigung einer neuen Regierung bleibt Merkel geschäftsführend im Amt – und nicht wenige Deutsche können sich vorstellen, dass sie noch einmal die traditionelle Neujahrsansprache halten wird.

(APA/red)