Die türkische Lira schwächelt massiv. Die Hauptschuld dafür sehen Ökonomen bei Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, der mit kämpferischer permanent das Vertrauen in die eigene Währung schwächt, und Erdoğans ungewöhnliche Geldpolitik, die er teilweise der Zentralbank aufoktroyiert.

Am Dienstag ist nun die türkische Lira neuerlich eingebrochen, nachdem Erdoğan am Montagabend mit einer umstrittenen Stellungnahme von sich reden machte. Gegenüber Dollar und Euro sank die Lira auf neue Rekordtiefstände. Zum Dollar betrugen die Tagesverluste zeitweise zehn Prozent. Der Dollar stieg im Gegenzug erstmals  auf über 12 Lira. Der Eurokurs legte auf 14,06 Lira zu. Zur Gegenüberstellung: Zum Monatsbeginn lag die Lira zum Dollar noch unter der Marke von zehn, zu Anfang des Jahres sogar unter acht.

Erdoğan hatte zuvor die drastischen Zinssenkungen verteidigt und versichert, seinen “wirtschaftlichen Unabhängigkeitskrieg” trotz der breiten Kritik gewinnen zu wollen. Darüber hinaus solle ein noch schwächerer Wechselkurs Investitionen und Arbeitsplätze fördern. Damit wurde die Inflation weiter angeheizt, eingeführte Waren werden nun noch teurer.

Darüber hinaus hat die Notenbank auf Erdoğans Druck hin die Leitzinsen gesenkt. Erdoğan vertritt die Ansicht, hohe Zinsen würden die Inflation befördern. Deshalb müsse die Zentralbank die Leitzinsen niedrig halten. Mit dieser Auffassung befindet sich der türkische Präsident im Widerspruch zur gängigen Meinung und zu allen ökonomischen Theorien.

Der politische Druck auf die türkische Lira hält an

Dass die Währungen von Schwellenländern wie der Türkei oft großen Schwankungen ausgesetzt sind, ist nicht ungewöhnlich. Sie reagieren stark auf Verschiebungen auf den weltweiten Finanzmärkten, was mitunter plötzliche Kursveränderungen auslöst. Ungewöhnlich ist im Falle der Türkei, dass sich der wichtigste Einflussfaktor auf die Lira nicht im Ausland befindet, sondern im Inland. Seit Jahren ist es vor allem Präsident Recep Tayyip Erdoğan selbst, der mit umstrittenen Äußerungen den massiven Kurssturz der eigenen Landeswährung vorantreibt.

Der politische Druck auf die Notenbank in der Türkei dürfte aber anhalten. So forderte Devlet Bahceli, Chef der ultranationalistischen Partei MHP, eine Diskussion über das Ende der Unabhängigkeit der Notenbank. Die MHP ist Teil der Regierung Erdogans. “Unabhängige Institutionen können nicht über dem Willen des Volkes stehen”, sagte Bahceli. “Die Türkei soll frei von der Zinsbelastung sein.” Zudem forderte er, dass sich die Türkei dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der “Zinslobby” entgegenstelle. Die Aussagen dürften das Vertrauen in die Lira und die türkische Wirtschaft weiter schwächen.

Ex-Notenbankchef: "Irrationales Experiment muss enden"

Der anhaltende politische Druck schwächt die türkische Währung. Allein in diesem Monat hat die Lira gegenüber Dollar und Euro rund ein Viertel ihres Werts verloren. Die Inflation im Land lag zuletzt bei knapp 20 Prozent, worüber viele Menschen klagen.

Der ehemalige stellvertretende Zentralbankchef Semih Tumen, der letzten Monat von Erdoğan entlassen wurde, forderte eine sofortige Rückkehr zu einer Politik, die den Wert der Lira schützt. “Dieses irrationale Experiment, das keine Aussicht auf Erfolg hat, muss sofort aufgegeben werden, und wir müssen zu einer Qualitätspolitik zurückkehren, die den Wert der türkischen Lira und den Wohlstand des türkischen Volkes schützt”, schrieb Tumen auf Twitter.

AKP-Politiker raten den Türken auf Sparflamme zu leben

Politiker von Erdogans Regierungspartei AKP sorgen unterdessen mit Spartipps für Diskussionen. AKP-Politiker Zülfü Demirbag etwa riet den Bürgern, statt zwei Kilo Fleisch monatlich nur ein halbes zu essen. Anstatt zwei Kilo Tomaten reichten vielleicht auch zwei Stück. Gemüse außerhalb der Saison zu essen, sei ohnehin nicht besonders gesund. Anfang des Monats riet Energieminister Fatih Dönmez, die Heizungen runterzudrehen, um Geld zu sparen.

Ein Bürgermeister in der Türkei macht unterdessen mit Extrapreisen für Ausländer von sich Reden. Menschen ohne türkischen Pass müssen im nordtürkischen Bolu nun den zehnfachen Preis für Wasser und deutlich mehr als türkische Staatsbürger für zivile Trauungen zahlen, berichtete der staatliche Sender TRT am Dienstag. Justizminister Abdulhamit Gül reagierte via Twitter und warf dem Bürgermeister der Stadt, Tanju Özcan, Rassismus vor. (APA/Red)