Nick Vujicic (38) ist einer der erfolgreichsten Motivationsredner der Welt: In einer Stierkampfarena in Kolumbien begeisterte er 18.000 Zuschauer, in Indien bei einem Vortrag 120.000 Menschen, seine Rede im Jahr 2016 in Slowenien wurde landesweit in alle Mittel- und Oberstufen übertragen, der Unterricht dafür eigens unterbrochen. Dabei kann Vujicic weder mit Händen gestikulieren, noch forsch auftreten, denn er hat keine Gliedmaßen. Wie sich bei seiner Geburt herausstellte, leidet er unter Phokomelie. Seine Mutter wollte ihn daraufhin zwei Tage lang nicht sehen.

Zentrale Botschaft: Man brauch Frustrationstoleranz

Die Lebensgeschichte von Nick Vujicic ist nur eine von 20 Biographien, die der Bestsellerautor, Kolumnist und ehemalige Unternehmer Rainer Zitelmann in seinem neuen Buch “Ich will. Was wir von erfolgreichen Menschen mit Behinderung lernen können” zusammengestellt hat. Jede einzelne davon ist ebenso berührend wie motivierend, und lehrt, was für den Erfolg im Leben tatsächlich unerlässlich ist, egal wie talentiert, wohlhabend, gut ausgebildet oder vernetzt man ist: Frustrationstoleranz. “Diese Eigenschaft ist eine der wichtigsten im Leben: Nicht aufgeben, auch wenn es schwierig wird”, schreibt Zitelmann an einer Stelle.

Junge Menschen – auch in der Start-Up-Branche – glauben zuweilen, die Welt im Alleingang erobern zu können. Diese jugendliche Verrücktheit hat ihr Gutes, nur ist sie nicht sehr fundiert, wenn auf die ersten  Misserfolgserlebnisse die Resignation folgt. Den 20 vorgestellten Persönlichkeiten in Zitelmanns Buch war meist schon in jungen Jahren klar: Sie haben es nicht leicht, manches scheint fast ausweglos, doch sie gaben nicht auf und leisteten so beinahe Übermenschliches. Was ihnen half, war darüber hinaus ihre Fähigkeit, aus einem scheinbaren Nachteil einen Vorteil zu ziehen.

Sicht nicht aufgeben, auch nach Schicksalsschlägen

Teils sind es bekannte Prominente, die Zitelmann vorstellt, wie Ray Charles, den “Hohepriester des Soul”, der in Armut und ohne Vater geboren wurde, und mit sieben Jahren erblindete. Heute ist er einer der erfolgreichsten Sänger aller Zeiten. Oder Ludwig van Beethoven, der trotz Taubheit seine bedeutendsten Werke komponierte, ebenso der Physiker Steven Hawking, dem die Ärzte wegen der Erkrankung seines motorischen Nervensystems nur wenige Lebensjahre gaben, oder auch der Schauspieler Michael J. Fox, der sich trotz seiner Parkinson-Erkrankung nicht aufgab. Teils sind es weit weniger bekannte Menschen, wie James Holman, der vor 200 Jahren der am weitesten gereiste Mann der Welt war, 400.000 Kilometer zurückgelegt hat und mindestens 200 Kulturen kennengelernt hat – trotz seiner Blindheit. Oder der US-amerikanische Bergsteiger Erik Weihenmayer, der als erster Blinder den Mont Everst bestiegen hat.

Der Motivationsredner Nick Vujicic wollte sich in seiner Jugend zunächst das Leben nehmen, aus Angst seinem Umfeld zur Last zu fallen. In der Volksschule wurde er sogar – man glaubt es kaum – in eine Rauferei verwickelt. Sein Talent als Redner entdeckte er mehr durch Zufall, als er sich in einer christlichen Gesprächsrunde schlussendlich dazu durchringen konnte, seine Lebensgeschichte zu erzählen und damit alle zu seiner eigenen Überraschung berührte. Ihm fiel es aufgrund seiner Behinderung in der Folge nicht schwer, seinen Zuhörern klar zu machen, dass er es im Leben nicht leicht hatte. So wusste er aus seinem Nachteil einen Vorteil zu ziehen. “Deine Vergangenheit kannst du nicht ändern”, sagt er. “Deine Zukunft schon.”

Deutschlands erfolgreichste Unternehmensgründerin

Eine erfolgreiche Startup-Geschichte befindet sich ebenfalls in dem Buch. Sie fand Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts statt, und zwar in Deutschland. Ihre Protagonistin ist eine Frau: Margarete Steiff, die querschnittsgelähmte Gründerin der Margarete Steiff GmbH, die zu einem weltweit führenden Unternehmen zur Herstellung von Stofftieren wurde. Steiff ist auch Schöpferin des bis heute bekannten Teddy-Bären. Wäre sie nicht an Kinderlähmung erkrankt und später an einen Rollstuhl gefesselt gewesen, sie hätte vermutlich eine “gewöhnliche” Karriere wie so viele Frauen damals eingeschlagen und vermutlich geheiratet. Doch es kam anders. Heute kennen 95 Prozent der Deutschen das Unternehmen Steiff – viele Kinder sind mit den Stofftieren mit dem “Knopf im Ohr” aufgewachsen. Auch für Steiff wurde ihre Behinderung zum Anstoß für eine beispiellose Karriere.

Es ist nicht Zitelmanns erstes Motivationsbuch. Auch sein Werk “Setze dir größere Ziele! Die Geheimnisse erfolgreicher Persönlichkeiten” ist etwa lesenswert. Doch dieses Werk ist sein bestes Motivationsbuch. Was es auszeichnet ist auch die gelungene Auswahl der Lebenswege, die so ganz unterschiedlich sind, sich aber ergänzen und am Ende in jedem Fall zeigen, wie wichtig Willensstärke und Durchhaltekraft im Leben sind.

Zitelmann wendet sich gegen das Opferdenken

Eine politische Aussage steckt aber – wenn auch eher versteckt – hinter diesem Werk: Rainer Zitelmann wendet sich – meist implizit – gegen die gängige “Opferpolitik”: Gruppierungen, die für sich  primär reklamieren, benachteiligt zu sein uns Privilegien vom Staat wollen. In einem NZZ-Artikel kritisiert Zitelmann die Grundhaltung mancher solcher Lobbys: “Heute ist es geradezu Morde geworden, sich als Opfer zu sehen. … Die eigene Situation soll nicht vor allem durch individuelles Leistungsstreben verbessert werden, sondern durch Rechte oder Sonderrechte für das eigene Kollektiv, die auf politischer Ebene erkämpft werden.” Zitelmann hält dem entgegen: “Wer Menschen zu Opfern macht, macht sie hilflos und machtlos. Beispiele von menschen, die trotz widrigen Umständen ihr Schicksal in die eigene Hand nahmen, ermutigen.”