Wenn selbst auf ukrainischen Telegram-Kanälen über Rückzugspläne aus dem Donbass-Gebiet geschrieben wird, dann muss die Lage für die Streitkräfte absolut dramatisch sein: Die ukrainische Armee steht im äußersten Osten ihrer Front gegen die russischen Invasionstruppen weiter stark unter Druck.

Und sogar der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski sprach von einer sehr schwierigen Lage, machte dem Militär aber Mut: «Der Donbass wird ukrainisch sein.» Besonders umkämpft ist nach Angaben von Gouverneur Serhij Hajdaj unter anderem die Stadt Sjewjerodonezk im Gebiet Luhansk – am 94. Kriegstag sprach er auch von Rückzugsplänen.

Der frühere US-General Cedric Leighton bei seiner Analyse
Die aktuelle militärische Lage im Osten der Ukraine

Mit Einnahme von Lyman ist Einkesselung fast gelungen

Deutlicher als die Ukrainer formuliert der frühere US-General Colonel Cedric Leighton bei seiner Analyse für CNN: “Den russischen Streitkräften geht es jetzt darum, wichtige Bahnknotenpunkte zu besetzen. So werden die Ukrainer im Donbass-Kessel von Versorgung, Munitionslieferungen und von der Zuführung von Reserven abgeschnitten.”

Wenn nun der russischen Armee gelingt, auch Dnipro einzunehmen, dann hieße das für zehntausende ukrainische Soldaten im Donbass-Kessel “Game over”, sagt der Ex-General – sie wären abgeschnitten und müssten sich so wie die Truppen in Mariupol in einigen Wochen ergeben.

Samstagmittag bestätigten die russischen Streitkräfte die Einnahme der Ortschaft Lyman – damit ist die Einkesselung der ukrainischen Truppenteile in Severodonetsk (100.000 Einwohner) und in der Umgebung dieser Stadt bereits fast gelungen.

Bis zu 12.000 ukrainische Soldaten könnten im Donbass eingekesselt werden.

Russische Armee erwartet ukrainische Gegenoffensive

Die ukrainische Armee müsse deshalb in dieser extrem schwierigen Situation einen – vielleicht letzten – großen Gegenschlag durchführen: Militäranalysten des Blogs “Critical Threats” melden dazu, dass sich die russische Armee an bestimmten Frontabschnitten bereits auf diesen Gegenoffensive vorbereitet und weitere Truppen an diese Geländeabschnitte beordert.

Scheitert diese ukrainische Gegenoffensive (trotz inoffizieller Hilfe bei der militärischen Aufklärung durch westliche Nachrichtendienste), dann werden sich auch die EU-Staaten mit einem ganz bestimmten Szenario auseinandersetzen müssen: mit Waffenstillstandsverhandlungen mit Moskau – und Wladimir Putin würde dafür fast alle Bedingungen diktieren.

Ukrainische Soldaten im Schützengraben - immer mehr Videos tauchen auf, in denen sie sagen: "Wir wollen uns nicht mehr abschlachten lassen."
Interessante Analyse: Colonel Cedric Leighton für CNN