Seinen noch jungen Jahren zum Trotz hat Sebastian Kurz (35) bereits so einiges erlebt – und im Laufe seiner steilen politischen Karriere auch die wichtigsten Entscheidungsträger der Welt persönlich kennengelernt. Darunter auch den Mann, der am 24. Februar 2022 den Befehl zur Invasion der Ukraine gab: Russlands Präsident Wladimir Putin. In seinem Gespräch im Rahmen des Swiss Economic Forum erinnerte sich Kurz an die Zusammentreffen mit dem russischen “Zaren” – und daran, dass sich Putin bereits vor einigen Jahren von der westlichen Welt – und insbesondere vom transatlantischen Militärbündnis –   bedroht gefühlt habe.

“Immer wenn ich Präsident Putin damals getroffen habe, war eines der ersten Themen, das er angesprochen hat, genau, dass […] es Versprechungen gab, die nicht eingehalten wurden; dass die NATO immer weiter vorrückt Richtung Russland; dass die Europäische Union die Erweiterung immer weiter vorantreibt in Richtung Russland”, so Kurz.

"Niemand hätte Eskalation vorausahnen können"

Putins Sicht der Dinge, die eine ganz andere war – und ist – wie die des Westens und die der Europäischen Union, habe den Umgang mit dem russischen Präsidenten auch seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 äußerst heikel gestaltet, so Kurz. “Unsere Sicht der Dinge – dazu stehe ich auch – war immer klar, dass ein Land, ein souveränes Land sich aussuchen darf, ob es einen westlichen oder östlichen Weg einschlagen will”, stellt der Ex-Kanzler, der damals Außenminister war, klar.

Er erinnert sich: “Österreich, ich persönlich, Vertreter eines kleinen neutralen Landes, damals mit militärisch überschaubaren Möglichkeiten, waren nicht diejenigen, die gesagt haben: Jetzt braucht’s ein Power-Play und wir suchen die Auseinandersetzung! Sondern wir waren immer der Meinung, der Dialog ist vielleicht der bessere Weg.

Ob dieser Weg aber auch der Richtige war, das hätte damals niemand beantworten können, so Kurz. Vielleicht empfand Putin diese Bemühungen als Schwäche, überlegt der Ex-Kanzler und damalige Außenminister – aber andererseits hätte vielleicht ein ständiges “harte Stirn bieten” bereits damals zu einer weiteren Eskalation führen können, führt er weiter aus.

“Was ich nur festhalten möchte: im Jahr 2014, ich war damals Außenminister, habe ich das Leid in der Ukraine vor Ort gesehen, als es hier schon Aggressionen seitens der Russen gab. Aber diese Eskalation, ein Vorrücken auf Kiew, hat damals so niemand vorhersehen können.”

"Da kommt Gewaltiges auf uns zu"

Der heutige Silicon-Valley-Manager und Familienvater blickt angesichts der aktuellen Lage nun mit Sorge in Richtung Ukraine und Moskau – und wagt eine düstere Prognose: Neben dem unendlichen Leid der Menschen in der Ukraine könne dieser Angriffskrieg Auswirkungen haben, “die wir jetzt noch gar nicht in dem Ausmaß im Blick haben”, so Kurz. Dabei verweist der Ex-ÖVP-Chef auch auf den Domino-Effekt, den der Krieg in der “Kornkammer” der Welt auf gerade die ärmsten Länder hat: Die so entstandene Lebensmittelknappheit und mögliche Hungerkrise in Afrika und dem Mittleren Osten. “Da kommt, glaube ich, Gewaltiges auf uns zu!”, meint Kurz mit dunkler Miene.