Über einen Krieg zwischen China und Taiwan will der ehemalige NATO-Generalsekretär Javier Solana (80) am liebsten gar nicht erst reden. Auf die Frage, ob der chinesische Präsident Xi Jinping in Taiwan einmarschieren wolle, entgegnet der spanische Politiker knapp: “Ich denke, wir haben genug Probleme, um die wir uns kümmern müssen. Wir sollten uns darauf konzentrieren, den Konflikt in der Ukraine zu lösen und seine Auswirkungen, einschließlich der Nahrungsmittelknappheit in Afrika und anderswo, zu bekämpfen. Im Moment gibt es keinen Konflikt in Taiwan, die Frage kann also warten.”

Globale Entkopplung ist "größte Herausforderung der Welt"

Solana war von 1995 bis 1999 Generalsekretär der NATO, in einer wichtigen Phase nach dem Kalten Krieg. In einem Interview mit der prominenten russisch-amerikanischen Politologin Nina Lwowna Chruschtschowa geht er auch auf diese Zeit und die NATO-Osterweiterung ein. Doch eines könne die Welt zum jetzigen Zeitpunkt am allerwenigsten brauchen, unterstreicht Solana: Eine Entkopplung zwischen Russland und China.

“Im Hinblick auf China muss der Westen klar anbieten, weiter zu reden und zu kooperieren”, erklärt er im Gespräch, das bei Project Syndicate erschien. “In der Tat ist die Vermeidung einer solchen globalen Entkopplung die größte Herausforderung, vor der die Welt heute steht. Eine Verschiebung hin zu “zwei Globalisierungen” – eine um die USA herum und die andere um China herum – hätte verheerende Folgen, weil keine Seite globale Herausforderungen ohne die andere bewältigen könnte.” Jüngst hat der eXXpress auch über die enormen wirtschaftlichen Konsequenzen berichtet.

Auch auf die Ursachen der Entfremdung zwischen Moskau und Washington geht Solana ein.

27. Mai 1997: Der russische Präsident Boris Jelzin (vorne, 2. v. l.) mit US-Präsident Bill Clinton (l.), Frankreichs Präsident Jacques Chirac (2. v. r.) und NATO-Generalsekretär Javier Solana (r.) im Pariser Elysee-Palast nach der Unterzeichnung der Grundakte zwischen NATO und RusslandGERARD FOUET/AFP via Getty Images

Abkommen zwischen Russland und NATO war ein "Erfolg"

Als NATO-Generalsekretär habe er sich um “eine solide, kohärente Politik gegenüber Russland” bemüht, berichtet Solana. Die Gespräche fanden mit dem damaligen Präsidenten Boris Jelzin statt. Im Jänner 1997 begannen die Verhandlungen für die Zustimmung Russlands zur Öffnung der NATO für weitere Staaten. “Wir einigten uns auf die Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der NATO und der Russischen Föderation, und wir schufen einen NATO-Russland-Rat. Gleichzeitig akzeptierte Russland die erste Öffnung der NATO, ein Prozess, der auf dem NATO-Gipfel in Madrid weniger als zwei Monate später begann, als drei Länder – Polen, Ungarn und die Tschechische Republik – ihren Weg zum NATO-Beitritt einschlugen.”

Das von beiden Seiten unterzeichnete Abkommen zwischen Russland und der NATO betrachtet Solana noch heute als “großen Erfolg”. Und: “Ich hatte nicht das Gefühl, dass die Russen es nicht abschließen wollten.” Allerdings hätte sich die Lage nachher verändert.

Boris Jelzin und Javier Solana nach der Unterzeichnung eines historischen NATO-Russland-Abkommens.LUKE FRAZZA/AFP via Getty Images

Neue US-Außenpolitik ab 2001 hat Putins Sichtweise geändert

Zunächst habe man keinen schlechten Eindruck von Jelzins Nachfolger gehabt: “Als Putin im Jahr 2000 zum ersten Mal Präsident wurde, schien er jemand zu sein, mit dem man verhandeln konnte.” Zur damaligen Zeit hat Wladimir Putin auch noch davon gesprochen, dass Russland selbst der NATO beitreten könnte. Verschiedene Ereignisse hätten aber zu einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen geführt.

5. April 2005: Wladimir Putin (l.) spricht mit Javier Solana in Sotchi. Solana war damals außenpolitischer Chef der Europäischen Union.MIKHAIL KLIMENTYEV/GAZETA/AFP via Getty Images

Mit Blick auf die fortgesetzte NATO-Erweiterung meint Solana selbst: “Ich glaube, dass die nachfolgenden Runden der NATO-Erweiterung nicht mit der gleichen Sorgfalt, den gleichen persönlichen Verhandlungen, durchgeführt wurden wie die erste.” Einschneidend sei für Russland aber der Kampf gegen den Terror unter Georg W. Bush gewesen: “Ich glaube auch, dass sich Putins Sichtweise nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, die die Außenpolitik der USA veränderten, erheblich geändert hat. Plötzlich war der Kampf gegen Osama bin Laden alles, was für die Vereinigten Staaten von Bedeutung war. Darunter litten die Beziehungen der USA zu Russland, und Putin bekam wahrscheinlich das Gefühl, dass er für die USA nicht mehr so wichtig war.”

Putin hatte "Sorge, das ihm die Ukraine entgleitet"

Auch der Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation – ebenfalls im Jahr 2001 – sei “wahrscheinlich nicht gerade hilfreich” gewesen, “da er China genau zu dem Zeitpunkt einen enormen wirtschaftlichen Auftrieb gab, als Putin das Gefühl hatte, dass seine Position auf der Weltbühne irgendwie geschwächt war.” Und schließlich hatte Putin ab 2004 “Sorge, dass ihm die Ukraine entgleitet.”

Damals fanden Präsidentschaftswahlen statt. Es gab zwei Kandidaten: den von Putin unterstützten Premierminister Viktor Janukowitsch und den Oppositionsführer Viktor Juschtschenko. “Janukowitsch gewann in einer Stichwahl, die jedoch nach allgemeiner Auffassung manipuliert wurde. Dies löste die so genannte Orangene Revolution aus, bei der Demonstranten eine Neuwahl forderten.” Schließlich wurden Neuwahlen abgehalten – “und Juschtschenko gewann. Es war das erste Mal, dass Putins Kandidat in der Ukraine verloren hat, und ich glaube, das hat ihn sehr verärgert.”