Was erwarten Sie von den kommenden Tagen?

Es wird mehr Gewalt geben. Es ist verrückt: Tausende Raketen werden gegen israelische Zivilisten abgefeuert, ohne irgendeinen Unterschied zwischen ihnen zu machen. Gleichzeitig missbraucht Hamas Zivilisten, um nicht selbst zum Ziel von Angriffen zu werden. Wir werden mehr von all dem in den kommenden Tagen erleben.

Israel hat beschlossen, die Hamas-Infrastruktur aus der Luft anzugreifen. War das die richtige Entscheidung?

Israel möchte die Chance nützen und Hamas eine Lektion erteilen. Die Option, die Israel ergriffen hat – der Angriff aus der Luft – ist nicht gut, aber die einzige andere Option Israels wäre mit Soldaten in Gaza einzudringen und Hamas bis zum Sieg zu bekämpfen, damit es dort keine Terrororganisation mehr gibt, die hunderte von Raketen auf uns abfeuert. Nur will zurzeit niemand in Gaza herrschen, auch nicht Israel, das dort schon einmal geherrscht hat. Daher müssen wir die Hamas dort lassen, im Wissen, dass sie ein Feind ist, der uns zerstören will.

Israels Raketenabwehrsystem „Iron Dome“ scheint die Bürger gut zu schützen. Entschärft das die Situation?

„Iron Dome“ funktioniert ganz gut, aber nicht perfekt. 90 Prozent der Treffer konnten wir verhindern. Mit einem der Systeme gab es Probleme, doch nun kommen wir den 100 Prozent näher. Allerdings haben allein innerhalb einer einzigen Stunde Raketen zivile Orte in Tel Aviv getroffen. Ohne „Iron Dome“ wäre die Situation ein Desaster gewesen und wir wären gezwungen gewesen, in Gaza einzumarschieren. „Iron Dome“ gibt uns die erste Option (Angriff aus der Luft), ohne die zweite ausschließen zu müssen.

War es ein Fehler Israels, vom Gazastreifen abzuziehen?

Ich persönlich halte es für einen Fehler, aber noch schlimmer war, dass wir auch die „Philadelphi-Passage“, den Korridor zwischen Gaza und Ägypten, aufgegeben haben. Vor allem das hätten wir nie zulassen sollen. Wären wir noch dort, könnten wir die Bedrohungen viel besser kontrollieren. Nun kann die Hamas dort problemlos Waffen hineinschmuggeln.

Der israelischer Sicherheitsexperte Yossi Kuperwasser

Die Hamas hat keine Armee im klassischen Sinn. Ist das eine Herausforderung?

Die Terroristen der Hamas sind unter den Zivilisten und tragen meistens keine Uniformen. Sie arbeiten in der Nähe von zivilen Zentren. Für Israel ist es in vielen Fällen möglich, zwischen Kämpfern und Zivilisten zu unterscheiden, aber leider nicht immer. Wir sind stark im Hinblick auf unsere klassischen militärischen Fähigkeiten. Aber es widerspricht unseren Prinzipien, Zivilisten wahllos zu töten. Hamas hat hingegen kein Problem damit und kann daher ebenfalls viel Schaden anrichten.

Israel kann sich gegen die Hamas wehren. Gibt es auch eine Lösung?

Die palästinensische Bevölkerung haut Hamas hinaus. Das wäre die Lösung. Nur unterstützen viele Palästinenser die Hamas, und die anderen haben Angst vor der Hamas. Wir können der Hamas schaden, aber solange Hamas da ist, Israel bekämpft und die Menschen indoktriniert, ist es schwierig, eine Lösung zu finden. Wie gesagt: Die Lösung in den Gazastreifen zurückzukehren, ist nicht populär, aber sie würde die Bedrohung deutlich reduzieren.

Spielen Israels Friedensabkommen mit arabischen Staaten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain eine Rolle im Nahostkonflikt?

Sie spielen eine Rolle. Die Normalisierung verschafft uns eine bessere Position gegenüber den Palästinensern. Hamas denkt, durch Terrorismus könnte sie diese Normalisierung verhindern. Nun, Bahrain und die VAE haben zwar öffentliche Lippenbekenntnisse für die Palästinenser in diesem Konflikt abgegeben, aber sie wollen weiterhin gute Beziehungen zu Israel haben. Sie verstehen, dass Israel an Sicherheit interessiert ist und den Palästinensern erlaubt, in ihren heiligen Stätten zu Gott zu beten. Seit 54 Jahren dürfen sie das. Auf dem Tempelberg darf jeder in seiner heiligen Stätte beten, der es will.

Wie lange wird der jetzige Konflikt dauern?

Niemand weiß, wie lange. Die kommenden Tage werden brutal.

Brig.-Gen. (res.) Yossi Kuperwasser ist ein israelischer Geheimdienst- und Sicherheitsexperte. Früher war Kuperwasser Leiter der Forschungsabteilung des militärischen Nachrichtendienstes der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) und Generaldirektor des israelischen Ministeriums für strategische Angelegenheiten.

Zurzeit ist Kuperwasser Senior Project Manager am Jerusalem Center for Public Affairs (JCPA), das sich auf die Sicherheitsdimensionen des israelisch-palästinensischen Konflikts spezialisiert hat.