Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft verfinstert sich, und zwar massiv. „Deutschland steht an der Schwelle zur Rezession“, kommentiert der Top-Ökonom Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts. Er verweist auf die jüngste Umfrage seines Instituts unter 9000 Managern. Fazit: So pessimistisch waren die Wirtschaftsbosse seit mehr als zwei Jahren, zu Beginn der Corona-Pandemie, nicht mehr. Der Geschäftsklimaindex des Ifo-Instituts ist im Juli auf 88,6 Punkte gefallen, von 92,2 Punkten im Vormonat. Das ist der niedrigste Wert seit Juni 2020.

Vor allem der Blick in die Zukunft ist finster. Unternehmen erwarten in den kommenden Monaten erheblich schlechtere Geschäfte. Sie sind aber ebenso mit ihrer aktuellen Geschäftslage wesentlich weniger zufrieden, wie die Umfrage zeigt. Der Geschäftsklimaindex ergibt sich als Mittelwert aus „Erwartungen“ und „Geschäftslage“ .

Tödlicher Mix: Gasknappheit, Energiekrise, schwacher Euro

Als Hauptgrund nennt Fuest die steigenden Energiepreise und die drohende Gasknappheit. Verschärft wird das alles zusätzlich durch den schwächelnden Euro, einen weiteren Wohlstandsvernichter. Leider kommt er der für Deutschland so wichtigen Exportwirtschaft rein gar nicht zugute. Die Vorteile beim Export werden durch den enormen Anstieg der Importpreise für Vorprodukte vernichtet. Gerade das zeigt sich auch bei den Energiepreisen: In Euro gerechnet notiert Brent-Öl in der Nähe seines Rekords, während es in Dollar noch weit davon entfernt ist. Energieträger werden für Deutschland heuer um elf Prozent teurer.

Erstmals seit 1991 erleidet Deutschland ein Handelsminus

Es kommt noch dicker: Erstmals droht Deutschlands Außenhandelsüberschuss, der bisher mehr als fünf Prozent zum Wirtschaftswachstum beigetragen hat, wegzubrechen – alarmierend für eine Exportnation. Noch finsterer als Fuests Einschätzung ist daher jene Heino Rulands vom Analysehaus Ruland Research: „Deutschland befindet sich bereits in einer Rezession.“ Im Mai hatte der ehemalige Exportweltmeister erstmals seit 1991 ein Handelsminus erlitten.

„Economist“ ortet Engstirnigkeit bei Deutschland

Schon im Frühjahr ist die Konjunktur nach Ansicht der Bundesbank angesichts des Inflationsschubs und der Unsicherheit über die künftige Energieversorgung kaum von der Stelle gekommen. Diese Faktoren lasteten auch im Sommer auf der deutschen Wirtschaft.

Man könnte nun sagen: Es sind geopolitische und geldpolitische Veränderungen, die Deutschland zu schaffen machen. Dafür kann das Land doch nichts. Internationale Beobachter sehen das anders. Der „Economist“ spottete jüngst über Deutschlands selbstverschuldeten Wirtschaftseinbruch, speziell mit Blick auf die Energiepolitik.

Berlin 2016: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Schon damals hatte Deutschland die zweithöchsten Strompreise Europas.APA/AFP/CHRISTOF STACHE

„Jahre der Selbstgefälligkeit haben Deutschland in eine missliche Lage gebracht. Doch selbst wenn sich das Establishment mit dem Ausmaß seines Dilemmas und der immensen Herausforderung eines Kurswechsels auseinandersetzt, bleibt Deutschlands Gespräch mit sich selbst seltsam engstirnig und ohne Dringlichkeit.“ Die Wochenzeitung erwähnt etwa „die bedauerliche Abhängigkeit Deutschlands von russischen Brennstoffen“.

Deutschlands verfehlte Energiepolitik – ein „Eigentor“

Schuld daran seien auch Entscheidungen, „um das Angebot an Energie aus anderen Quellen zu verringern. Unter den zahlreichen Beispielen für diese Dummheit ist das bekannteste die Kernkraft. Als 2011 ein Tsunami die japanischen Atomreaktoren in Fukushima traf, flippte die Regierung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel aus und schaltete praktisch über Nacht die Hälfte der deutschen Atomstromerzeugung ab.“ Die letzten drei Reaktoren sollen im Dezember 2022 abgeschaltet werden. Wir sind gespannt.

Falsche Schwerpunkte? Die Windkraft wird Deutschlands Industrie nicht retten.APA/David GANNON

Am meisten habe sich aber Deutschland durch Vernachlässigung seines eigenen Erdgases geschadet: „Das vielleicht größte Eigentor hat Deutschland gegen seine eigene Erdgasindustrie geschossen. (…) Um die Jahrtausendwende förderte Deutschland etwa 20 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr, genug, um fast ein Viertel des nationalen Bedarfs zu decken. Doch obwohl Geologen davon ausgehen, dass Deutschland über mindestens 800 Milliarden Kubikmeter förderbares Gas verfügt, ist die Produktion nicht gestiegen, sondern auf nur noch 5-6 Mrd. Kubikmeter eingebrochen, was gerade einmal 10 % der Importe aus Russland entspricht.“