Der eXXpress erreicht den Alpinisten aus Bielefeld (118 Meter Seehöhe) im Camp 1 des Mount Everest. In 5943 Meter Höhe ist Internet-Empfang stark begrenzt. Jost Kobusch nutzt eines der wenigen Fenster, um sich mit dem eXXpress zu unterhalten. Ein Interview gibt er gerne, sagt der sympathische Alpinist – aber nur dann, wenn wir uns duzen. Auf dem Berg wird nicht gesiezt. Und genau diese lockere und offene Art zieht sich auch durch unser Gespräch.

"Messners PR ist herausragend"

eXXpress: Für Alpinisten ist Messner wohl eine Legende und Vorbild, für dich auch? Wo siehst du Messners Vermächtnis?
Kobusch: Wenn ich darüber nachdenke, was Messners Vermächtnis ist, dann sind es sicherlich auch seine Pionierleistungen. Selbst wenn neueste Erkenntnisse zeigen, dass seine Besteigungen an den 8000ern nicht immer auf dem Gipfel endeten (eXXpress berichtete über die Vorwürfe), so sind sie doch alpinistische Meilensteine im Rahmen der damaligen Möglichkeiten.

Messner war der erste Mensch, der den Everest ohne Sauerstoffgerät bezwang. Ist das der größte dieser Meilensteine?
Das war genauso die Leistung seines Bergpartners Peter Habeler mit dem er gemeinsam die erste sauerstoffgerätfreie Begehung des Everest gemacht hat. Aber der Grund, warum sich kaum jemand (no offence Peter) an Habeler erinnert, ist Messners herausragende PR – genau dort sehe ich sein Vermächtnis. Er ist ein herausragender Alpinist gewesen und für mich ein noch herausragenderer Vermarkter, mit seinen Geschichten inspiriert er noch heute (auch mich).

Getrieben von einer bestimmten Neugierde

Wenn man dann von so einer Person als “alpinistisches Leichtgewicht” bezeichnet wird, wie fühlt man sich da? Bietet das vielleicht zusätzliche Motivation?
Ich frage mich eher auf welchen Bedürfnissen von Messner dieses Urteil basiert. Ich versuche, die Gefühle hinter diesen Worten zu verstehen. Ist es Angst vor Veränderung, Reinhold? Motivieren tut mich das absolut nicht (meine Motivation basiert auf meiner Neugierde) – aber es fasziniert mich warum Messner sich von meinem Projekt angesprochen fühlt.

Worauf bist du denn so neugierig?
Ich bin neugierig darauf, was mich dort oben erwartet. Ich bin neugierig darauf, wozu ich als Athlet in der Lage bin. 2020 habe ich eine Höhe von 7360m erreicht – so hoch ist in dem Winter keine Expedition an einem 8000er gekommen. Jetzt ist es mir gelungen auf der Erfahrung aufzubauen. Was beim ersten Versuch einen Monat gedauert hat, habe ich innerhalb einiger Tage bewältigt. Langsam aber sicher werde ich zu jemandem, der dazu in der Lage ist, das Projekt zu schaffen.

Ein Influencer in den Bergen

Denkst du, dass Reinhold Messner eifersüchtig ist – auf die Aufmerksamkeit, die du mit diesem Projekt auf dich ziehst?
Das glaube ich nicht.Vielleicht hat er Angst davor, dass man ihn nicht mehr als den großen Alpinisten wahrnimmt, der er ist. Abgelöst von jüngeren. Lustigerweise wiederholt sich hier genau die Situation, die er selbst mit den ‚alteingesessenen‘ Alpinisten erlebt hat, als er das Unmögliche wagte und vermarktete. Aber die Bedingungen lassen sich nicht vergleichen. Er gehört zu einer anderen Generation mit anderen Möglichkeiten. Er hat diese Möglichkeiten ausgeschöpft wie nur wenige andere.

Du nutzt die modernen Möglichkeiten sehr gekonnt. Würdest du dich als Bergsteiger-Influencer bezeichnen?
Ich bin ein Athlet der sich moderner Kommunikationsmittel bedient. Im Vordergrund steht Alpinismus – anders als beim Instagram Account von Messner – das ist reines „Influencing“.

Einsamkeit, Podcasts und Quinoa

Apropos beeinflussen: Wie kommt ein Bub aus Bielefeld überhaupt auf die Idee, auf den Everest zu gehen?
Als mir 2017 die Erstbesteigung des Nangpai Gossum 2  (7298m) im Alleingang gelang, habe ich mich gefragt, wie ich so eine reine Solo-Besteigung auf einen 8000er übertragen kann. Ich komme aus einer Region, in der es mir nicht leicht fiel Seilpartner zu finden. Also habe ich viel allein gemacht. Ich habe die Annapurna 1 (8091m) ohne Unterstützung und ohne Sauerstoff gemacht – aber da waren noch andere Bergsteiger und eine präparierte Route. Ich habe mich immer gefragt, wie ich einen Alleingang an so hohen Bergen perfektionieren kann. Bis mir die Antwort kam: Geh im Winter, dann ist niemand dort. Der Everest im Winter über den Westgrat ist das Schwierigste was mir eingefallen ist – aber auch das worauf ich am neugierigsten bin.

Eine vielleicht doofe Frage: Wenn man alleine auf den Everest geht, wie macht man das mit dem Proviant? Hast du Wasser und Nahrung mit?
Ich habe gefriergetrocknete Nahrung dabei, der alles Wasser entzogen ist. Am Berg schmelze ich dann Schnee, das kochende Wasser kommt in meine Essenstüte hinein und nach etwa zehn Minuten habe ich eine Mahlzeit. Das ganze wiegt wenig – mein Lieblingsessen zur Zeit: Quinoa auf Mexikanische Art.

Klingt lecker. Nimmst du eigentlich dein Handy auch mit auf den Gipfel?
Ja – ich liebe es abends im Schlafsack noch einen Podcast zu hören. Die Nächte sind lang und einsam.

Messner und sein Bergkamerad Peter Habeler 1978.APA

Was Reinhold Messner gesagt gehört

Wie fühlt es sich an etwas zu versuchen, das als unmöglich gilt? Hast du Angst?
Ich weiß noch genau, wie mein Projekt, den Everest im Winter Solo zu besteigen 2019 aufgenommen wurde: Als PR-Stunt. Ein Profi gab mir damals die Erfolgschance von 0,1 Prozent überhaupt auf 6000 Meter Höhe zu kommen. Das hat mich natürlich motiviert. Aber die Wahrheit ist, ich wusste damals nicht was überhaupt möglich ist. Es war eine Lernerfahrung, zu sehen, wie die Ausrüstung die ich entwickelt habe, funktionieren würde. Wie das Mikroklima wirklich ist. Und natürlich wollte ich mir die Route anschauen. Für mich war von Anfang an klar, dass es mehrere Versuche brauchen würde. Es war so, dass ich mich schon voll und ganz für dieses Projekt entschieden habe – mit all seinen Versuchen – bevor ich den ersten Versuch gestartet habe. Eine Mischung aus Faszination und ja, natürlich auch Angst.

Da war es wieder, dieses Wort „PR-Stunt“. Das verfolgt dich. Dann machen wir jetzt PR: Du kannst Reinhold Messner im eXXpress etwas ausrichten. Was willst du ihm sagen?
Seien wir mal ehrlich, auch wenn meine PR immer mal wieder von Reinhold Messner gelobt wird – danke Reinhold – ich habe von dem besten (dir) gelernt und noch ein bisschen Zeitgemäßes oben drauf gepackt. Für einen PR-Stunt ist das Ganze ziemlich aufwendig. Und für einen PR-Stunt könnte ich niemals die Willenskraft aufbringen, die meine Neugierde erzeugt.

Was denkst du, erwartet dich am Gipfel?
Eine schöne Aussicht? Antworten? Geld? Sicherheit? Was am Gipfel ist, ist irrelevant. Es geht um den Prozess. Darum mich über meine menschliche Schwäche zu erheben.