Es ist eine wunderschöne Melodie, welche der Konzertpianist seinem Klavier virtuos entlockt – sein Publikum lauscht gebannt: Eine Szene wie sie sich so oft in Konzertsälen und Kulturstätten auf der ganzen Welt ereignet, und doch ist hier alles ganz anders.

Man muss schon genau hinhören, und sich der Umstände bewusst sein, um zu erkennen, dass es sich bei dieser Darbietung um einen offenen Akt der Rebellion handelt. Dann versteht man auch, warum zwei Polizisten den Pianisten flankieren, und warum der Applaus und die Ovationen des Publikums noch um ein Stück enthusiastischer ausfallen, als sonst:

Denn diese Szene spielt in Moskau, in Zeiten des Kriegs – des vom russischen Präsidenten angeordneten Angriffskriegs gegen die Ukraine, um genau zu sein. Und das wohlklingende Musikstück, das der Pianist ausgewählt hat, entstammt der Feder eines ukrainischen Komponisten – und ist somit ein klares Zeichen der Solidarität mit der Ukraine, ein Akt der Rebellion und des Protests gegen Putins Politik und somit ein strafbarer Akt in den Augen des Kremls.

Darum warten Putins Polizisten bereits auf den Musiker, und doch wirken sie ein wenig unentschlossen, den Mann direkt abzuführen und lassen ihn nicht nur fertig spielen, sondern sogar das wild jubelnde Publikum gewähren, das den Pianisten mit lautem Applaus unterstützt. Die Kreml-Propaganda funktioniert offensichtlich nicht überall, und auch wenn es Russen gibt, die den Krieg befürworten – die Stimmen, die ihn verurteilen, verstummen auch unter behördlichem Druck nicht.