Weder Österreich noch Deutschland können mit ihrem Umlagesystem die derzeitigen Pensionen vollständig finanzieren. Jahr für Jahr müssen die Steuerzahler zusätzliche Milliarden beisteuern. Dass das Umlagesystem nicht nachhaltig ist, beklagte schon Österreichs legendärer Finanzminister Reinhard Kamitz (1907-1993). In den 1950er Jahren hatte er das österreichische Wirtschaftswunder in die Wege geleitet. Über die Einführung des Umlagesystems war er aber unglücklich: Besser sei ein Kapitaldeckungsverfahren. Dabei finanzieren die arbeitenden Menschen nicht die derzeitigen Pensionen, sondern ihre eigenen Pensionen, für die sie schon jetzt Geld anlegen.

Einen kleinen Schritt in diese Richtung hat nun die Ampel in Deutschland gesetzt. Immerhin zehn Milliarden Euro sollen nun für künftige Pensionen angelegt werden, in einem “dauerhaften Fonds”, der von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Stelle verwaltet wird. Der Historiker, Bestsellerautor und Kolumnist Rainer Zitelmann (64, FDP) verteidigt diesen Schritt im eXXpress-Interview. Für abwegig hält er dir scharfe Kritik daran, etwa von Seiten der Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann der TAZ, die gemeint hat: “Wenn der Staat auftritt und Milliarden in die Finanzmärkte pumpt, dann reichen die Aktien bald nicht mehr. Denn die Unternehmen geben ja keine neuen Papiere aus, nur weil die Regierung Aktien kaufen will. Also werden die Papiere knapp, was die Kurse treibt – so dass der Staat eine Finanzblase erzeugt.“

"Das Umlageverfahren ist ein Schneeballsystem"

Braucht Deutschland eine Rentenreform?

Das Umlageverfahren ist ja in Wahrheit ein Schneeballsystem, das schon lange nicht mehr funktioniert. Der Schein des Funktionierens wird nur dadurch gewahrt, dass die Rentenversicherung massiv mit Steuermitteln gestützt wird. Im Jahr 2020 waren es 75 Milliarden Euro. Seit 20 Jahren ist diese Zahl jedes Jahr gestiegen.

Die Ampel-Koalition will die gesetzliche Rente um eine “teilweise Kapitaldeckung” erweitern. Begrüßen Sie das?

Es ist immerhin ein Einstieg. Das sehe ich grundsätzlich positiv. Aber es wird nicht reichen. Die Politik hat ja nicht den Mut, den Menschen zu sagen, dass die Jahrgänge ab etwa 1960 mit Eintritt in den Ruhestand entweder eine Absenkung ihres Lebensstandards akzeptieren müssen oder mindestens bis zum 70. Lebensjahr werden arbeiten müssen, vielleicht länger.

Als Bismarck die Rentenversicherung einführte, betrug die Lebenserwartung 40 Jahre, heute liegt sie doppelt so hoch. Und die Geburtenrate ist dramatisch gefallen. Gleichwohl: Man kann das Umlageverfahren nicht von heute auf morgen durch ein Kapitaldeckungsverfahren ersetzen, aber das muss natürlich langfristig die Perspektive sein.

Otto von Bismarck: Als er die Rentenversicherung einführte, betrug die Lebenserwartung 40 Jahre.Das Bundesarchiv

Die Rentenpolitik ist das genau Gegenteil von nachhaltig

Worin sehen Sie die Vorteile eines Kapitaldeckungsverfahrens gegenüber einem reinen Umlageverfahren?

Genauso gut könnten Sie fragen: Wo ist der Vorteil eines Investments im Vergleich zu einem Kettenbrief oder Schneeballsystem? Der sogenannte Generationenvertrag ist ja in Wahrheit ein Vertrag zulasten Dritter, nämlich ein Vertrag zulasten von Menschen, die noch nicht geboren sind. Der aber unter veränderten demographischen Bedingungen nicht mehr funktioniert. Das sind an sich Binsenweisheiten. Aber die Politik drückt sich davor, Konsequenzen daraus zu ziehen. Es wird ständig von “Nachhaltigkeit” gesprochen – ich kann das Wort schon nicht mehr hören – aber die Rentenpolitik ist das genaue Gegenteil davon.

Ein Eimer Wasser im Ozean verursacht keine Überschwemmung

Ulrike Herrmann in der TAZ kritisiert die Kapitaldeckung. Sie führe zu steigenden Aktienkursen. Was sagen Sie dazu?

Nun ja, es ist beschämend, wenn eine vermeintliche “Wirtschaftsexpertin”, die man laufend in den deutschen Talkshows sehen kann, mit solchen Sätzen beweist, dass sie nicht die geringste Ahnung vom Aktienmarkt hat. Diese Sätze sind doch einfach nur lächerlich. Weltweit gibt es Aktien für über 100 Billionen US-Dollar (also 100.000 Milliarden). Zehn Milliarden Euro, die der deutsche Staat in eine kapitalgedeckte Rente investieren will sind 0,01 Prozent vom heute existierenden globalen Marktwert des Aktienmarktes. Zu behaupten, wenn Deutschland beginnt, für die gesetzliche Altersvorsorge Aktien zu kaufen, dann “reichen die Aktien bald nicht mehr” ist aus vielen Gründen lächerlich. Das ist so, als würde man behaupten, wenn man in den Ozean einen Eimer Wasser schüttet, käme es weltweit zu Überschwemmungen.

Sie behauptet, nun würden nur die Wohlhabenden von der Kapitaldeckung profitierten, weil ja die Kurse steigen. 

Logisch ist das nicht. Die FDP macht einen Vorschlag, wie mehr Menschen als heute vom Aktienmarkt profitieren. Wenn eine Aktie steigt oder fällt, dann steigt oder fällt sie für alle im gleichen Maße. Und dass die weltweiten Aktienkurse explodieren werden, weil Deutschland eine Aktienrente einführt, ist einfach eine so absurde Behauptung, dass ich dringend einen Nachhilfekurs über Grundwissen zum Aktienmarkt empfehle. Irgendwie aber auch wieder typisch für linksgrünes Denken: Die glauben, die ganze Welt würde sich um Deutschland drehen. Übrigens ist auch die Behauptung, nur wenige Reiche besäßen Aktien, einfach falsch. 95 Prozent der Investitionen kommen von Institutionellen, also von Versicherungsgesellschaften, Pensionsfonds usw., die Gelder von Millionen ganz normalen Arbeitnehmern verwalten.

Jeder sollte verpflichtet sein, in Aktien-ETFs anzulegen

“Zum Glück will die Ampel nur zehn Milliarden Euro in diesen Irrweg pumpen”, meint sie. “Aber eigentlich sind auch zehn Milliarden zu viel.“ Ihre Meinung?

Das Gegenteil ist richtig. Zehn Milliarden sind eine kleine Summe, ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich selbst wäre übrigens für eine andere Lösung: Statt dass der Staat Geld anlegt, sollte jeder verpflichtet werden, monatlich einen bestimmten Betrag in einen weltweit anlegenden Aktien-ETF anzulegen. Welcher ETF das ist, das sollte jeder selbst entscheiden können. So wie jeder KfZ-Fahrer eine Haftpflichtversicherung abschließen muss, aber die Versicherung selbst wählen kann. Zehn Jahre vor dem voraussichtlichen Eintritt in das Rentenalter sollte sukzessive von dem Aktien-ETF in einen ETF umgeschichtet werden, der in Anleihen von Staaten mit erstklassiger Bonität investiert. Die Investitionen sollten zu 100% steuerlich abzugsfähig sein, allerdings nur dann, wenn der Sparplan bis zum Eintritt in das Rentenalter durchgehalten wird. Aber auch der FDP-Plan der Aktienrente, der ja etwas anderes besagt, ist besser als das jetzige System, doch das Volumen müsste natürlich mit hoher Dynamik anziehen. Das weiß auch die FDP.