In aller Munde war am Donnerstag die Erhöhung des Leitzinses um 0,5 Prozent. Mit dieser Entscheidung des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) versuchte EZB-Präsidentin Madame Lagarde „ihren guten Willen zu demonstrieren, nunmehr die Inflation auch zinspolitisch rigoros zu bekämpfen“, sagt Prof. Markus C. Kerber gegenüber dem eXXpress. Dies werde aber nicht gelingen, da die EZB der Inflation ohnehin nur noch hinterher hechelt.

Kaum Beachtung fand unterdessen die einstimmige Entscheidung des EZB-Rates für das „Transmission Protection” Instrument (TPI). „Damit überschreitet die EZB eine rote Linie“, sagt Kerber, der Finanzwissenschaft an der TU Berlin lehrt. Was sich hinter dieser Bezeichnung verbirgt, erläutert er gegenüber dem eXXpress.

Den Schuldnerstaaten kann künftig noch mehr unter die Arme gegriffen werden – mit neuem Geld

Offiziell will die EZB damit die „Transmission der Geldpolitik“ sicherstellen. Klingt sehr wissenschaftlich, ist in Wahrheit eine „Irreführung“, wie der Finanz-Experte unterstreicht. Angeblich soll so eine gleichmäßige Wirkung der Geldpolitik im gesamten Euro-Raum erreicht werden. In Wahrheit greift die EZB damit den Schuldenstaaten unter die Arme, und zwar so kräftig wie noch nie: Im Fall des Falles können mit aus dem Nichts geschaffenen Geld Staatspapiere von Italien und anderen Schuldnerstaaten gekauft werden, und zwar ohne Bedingungen und ohne Grenze nach oben.

Der scheidende italienische Ministerpräsident Mario Draghi (r.) war Lagardes Vorgänger als EZB-Präsident. Bereits er tat alles, um den Euro – und Italien im Euro – zu retten.APA/AFP PHOTO/THIERRY MONASSE

Mit anderen Worten: Die EZB kann unbeschränkt viel Geld schaffen um unbeschränkt viele Staatsanleihen zu kaufen. Die betroffenen Schuldnerstaaten müssen dafür nicht einmal mehr Reformversprechen abgeben. Offiziell gibt es noch ein paar Kriterien dafür, ob das neue Programm denn tatsächlich zur Anwendungen kommen wird. „In Zukunft kommt es mit Sicherheit gar nicht auf die Erfüllung der Zulässigkeitskriterien im Einzelnen an“, sagt dazu Kerber. „Denn schon in der Vergangenheit hat sich die EZB wenig um Regeln geschert.“

Draghi tritt als Ministerpräsident Italiens zurück, doch das ändert nichts an der Ausrichtung der EZB-Geldpolitik: Selbst eine rechte Regierung darf sich der Hilfe sicher sein.APA/AFP/OLIVIER DOULIERY

Ein Auseinanderfallen der Euro-Zone soll mit aller Kraft verhindert werden

Was der EZB in den vergangenen Wochen Sorge bereitete, waren etwa die in die Höhe schießenden Renditen auf zehnjährige Staatsanleihen Italiens. Im Juni kletterten sie auf 4,2 Prozent, nun liegen sie bei 3,2 Prozent. Für ein hochverschuldetes Land wie Italien sind die hohen Renditen ein enormes Problem. Nur zum Vergleich: Die Renditen auf (solide) deutsche Staatsanleihen von zehn Jahren liegen knapp über 1 Prozent. Dieses Auseinanderfallen der Renditen will die EZB mit aller Kraft verhindern, und noch etwas: Dass Italien am Ende bankrott ist und aus dem Euro fällt.

Das umschreibt die EZB mit anderen Worten. Ihr Ad-hoc-Aufkaufprogramm will solche Länder stützen, die sich „ungerechtfertigten“ Zinserhöhungen gegenüber sehen. Gemäß Kerber gibt es überhaupt keine ungerechtfertigten oder übermäßigen Zinserhöhungen.

Prof. Kerber im TV-Gespräch

Die EZB kontrolliert den europäischen Markt und stellt sich über geltendes Recht

Mit dem TPI hat die EZB ein weiteres Ankaufprogramm geschaffen. Bereits im Rahmen der vorangegangenen Programme PEPP und PSPP wurden Staatsanleihen im Wert von 1,85 bzw. 2,4 Billionen Euro gekauft. Mit dem TPI soll noch mehr Geld aus dem Nichts geschaffen werden. Insgesamt hat sich die Geldmenge seit 2008 versiebenfacht.

Darüber hinaus wird dank des TPI die Wiederanlage von PEPP und PSPP möglich – will sagen: „Mit den Beträgen aus der Rückzahlung holländischer Anleihen können in Zukunft italienische Anleihen neu erworben werden. Damit postuliert die EZB-Präsidenten die Freiheit vom Recht. Man nennt das Diktatur.“

Für Kerber steht fest: „Mit dem TPI ist die EZB definitiv und für alle Welt sichtbar aus dem Maastricht-Modell ausgestiegen. Die Disziplinierung von Schuldnerstaaten durch die Märkte ist damit beendet und eine englische Wochenzeitschrift titelt zutreffend, dies sei ein EZB-Masterplan, um die Märkte zu manipulieren. Dies ist angesichts der Ungeniertheit, mit der Frau Lagarde sich im Widerspruch zu auch grundlegenden Regeln der europäischen Verträge setzt, fast noch harmlos formuliert.“