Ende April ist ein brandneues Buch aus der Feder von Thomas Mayer erschienen: In „Das Inflationsgespenst. Eine Weltgeschichte von Geld und Wert“ (ecoWing) widmet sich der ehemalige Chefökonom der Deutschen Bank der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Geldes. Er zeigt darin: Krisen des Geldes samt überschießenden Inflationen sind nichts Neues. Nur lassen sie sich nicht – wie zurzeit – ausschließlich durch Lieferkettenprobleme nach Lockdowns oder Rohstoff-Verknappung im Zuge des Krieg in der Ukraine erklären. Solche Ereignisse sind gemäß dem Wirtschaftswissenschaftler lediglich der „Zündfunke“ für die Inflation, wie er im Interview auf eXXpressTV erläutert.

Das neue Buch über das Geld und seine Krisen

Entscheidend war die Geldmengen-Ausweitung während der Corona-Pandemie

„Wenn zu viel Geld da ist, steigen früher oder später die Preise“, sagt Mayer. Das sei eine uralte Weisheit, allerdings gebe es hier keinen „Automatismus“: Zuerst hänge eine aufgeblähte Geldmenge „wie eine Gewitterwolke“ über der Wirtschaft. Damit sie sich in erhöhter Inflation entlädt und gewissermaßen auf die Wirtschaft „hinabregnet“, brauche es die genannten Auslöser. „Dann wird die enorme Geldmengen-Ausweitung in Inflation umgesetzt“, erklärt der Ökonom, der heute Leiter der Denkfabrik Flossbach von Storch Research Institute ist.

Thomas Mayer, Jahrgang 1954, ist promovierter Ökonom und ausgewiesener Finanzexperte. Er war unter anderem für den Internationalen Währungsfonds in Washington sowie für die Investmentbanken Salomon Brothers und Goldman Sachs in London tätig. 2010 wurde er Chefvolkswirt der Deutsche-Bank-Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Seit 2014 ist er Leiter der Denkfabrik Flossbach von Storch Research Institute. Er hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Bücher über Geld und Geldpolitik verfasst.

Die Geldmengenausweitung geschah diesmal vor allem während der Corona-Pandemie, indem „Zentralbanken Staatsanleihen über den Markt gekauft haben, um damit Geld zu schaffen, das sie dem Staat zur Verfügung stellen, damit er damit seine Unterstützungszahlungen finanziert.“

Inflation bewirkt Umverteilung und macht die Wirtschaft ineffizienter

Aus zwei Gründen ist Mayer zufolge die jetzige Rekordinflation so gefährlich: Erstens führt Inflation zu Umverteilung von den Sparern zu den Schuldnern. „Wer Geld hält, muss erleben, wie sich seine Kaufkraft vermindert.“ Zweitens führt es zu Verzerrungen, die Preissignale für den Markt gehen verloren. „Man weiß nicht mehr: Was ist knapp, was ist reichlich da. Überall fließt das Geld hin. Damit sinkt die Effizienz der Wirtschaft.“

Diesmal werden die Zentralbanken die Inflation nicht eindämmen, prognostiziert Thomas Mayer

Um die Inflation einzudämmen, müssten die Zentralbanken den Geldüberhang wieder einfangen, sprich: den Kauf von Staatspapieren beenden, und darüber hinaus den Leitzins kräftig anheben. Bei hohen Zinsen werden nämlich mehr Kredite zurück gezahlt, als ausgeliehen, was die Geldmenge reduziert. „Sie können die Inflation nur brechen, wenn Sie die Zinsen deutlich über die Inflation heben“, unterstreicht Mayer mit Nachdruck.

Ein Leitzins über der Inflation wäre eigentlich nötig – ist aber fast unmöglich

Das geschah in den späten 1970er Jahren unter dem damaligen Fed-Chef Paul Volcker: Er hob die Leitzinsen bei einer Inflationsrate von 13 Prozent auf heute kaum vorstellbare 20 Prozent. Zehn-jährige Staatsanleihe waren mit 15 Prozent verzinst. Gleiches machte die Deutsche Bundesbank, zunächst ebenfalls in den späten 1970er Jahren und dann, angesichts einer neuerlich steigenden Inflation, nach der Wiedervereinigung. „Jedes Mal hat die Bundesbank den Geldmarktsatz auf mehrere Prozentpunkte über der Inflation gehoben.“

Der legendäre Vorsitzende der Federal Reserve Paul Volcker vor dem Bankenausschuss des Repräsentantenhauses.Getty

Heute ist das so gut wie unvorstellbar, sagt der Finanzexperte. Der Einlagezins der Europäischen Zentralbank (EZB) liegt bei minus 0,5 Prozent. Würde die EZB mit dem Kampf gegen die Inflation ernst machen, müsste sie diesen Zins auf 10 Prozent anheben, wie einst die Bundesbank. „Es ist kaum vorstellbar, dass das die Zentralbanken heute machen werden. Sonst hätten wir nicht nur eine harte Rezession wie schon damals, sondern auch eine Finanzkrise.“

US-Präsident Ronald Reagan im Gespräch mit Fed-Chef Paul Volcker im Oval OfficeGetty

Zurzeit ist die Staatsverschuldung um ein Vielfaches höher als vor 40 Jahren. Daher laufen die Zentralbanken der Inflationsrate lediglich in kleinen Schritten hinterher, „damit werden sie aber auch die Inflationsrate Jahre lang oben lassen, in der Hoffnung, dass die Schuldenlast leichter zu tragen sein wird, weil die Schulden durch die Inflation real abgewertet werden.“ Bevor der Neustart erfolgt, werde man jahrelang „eine höhere, teils schwankende Inflation erleben“.

Die Bürger werden indirekt besteuert, vor allem wenn sie keine Vermögenswerte haben

Für Otto-Normalverbraucher bedeutet das eine indirekte Besteuerung: Durch Zinsen weit unter der Inflationsrate wird sein Kapitaleinkommen real entwertet. Gleichzeitig wird der Rückzahlungswert seiner Anlage deutlich vermindert. Diese Besteuerung wird vor allem Bürgern ohne reale Vermögenswerte weh tun, die weder Immobilien, Gold oder Aktien haben. Um zu verhindern, dass das Geld wie Schnee an der Sonne schmilzt, muss man aber in reale Anlagen gehen.

Der Missbrauch der Geldpolitik durch den Staat provoziert Krisen

Die Krisen des Geldes sind untrennbarer und wiederkehrender Bestandteil seiner Geschichte. Mayer führt das auf die unterschiedlichen Funktionen des Geldes zurück. Nicht nur dient Geld als Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel, sowie als Rechnungseinheit, es wird von den Staaten auch als Finanzierungsmittel verwendet: „Immer wieder benützen die Mächtigen ihre politische Macht zum Geldmissbrauch.“ Das mündet in Krisen, die aber wiederum die Suche nach Alternativen zum bisherigen Geld  beflügeln. „In unserem Fall kann es privates Geld sein.“

Eine Sammlung von Goldbarren in einem Bankschließfach: Das Gold hält sich schon seit Jahrtausenden.Michaela Handrek-Rehle/Bloomberg

Unter Privatgeld fällt zum einen das „uralte Geldgold, das kein Staat je zu Geld erklärt hat, und das keiner je aus dem Nichts herstellen konnte.“ Andererseits Kryptowährungen wie Bitcoin: „Wenn genügend Menschen an ihre Werthaltigkeit glauben und sie als Tauschmittel akzeptieren, ist ihre Etablierung eine sich selbst erfüllende Prophezeiung“, sagt Mayer. „Vor allem Bitcoin hat genügend Anhänger, sodass sich daraus alternative Geldformen entwickeln werden, je mehr das vom Staat und durch die Kreditvergabe der Banken entstehende Geld an Wert und an Vertrauen verliert.“ Nachsatz: „Bis dahin braucht es aber noch Zeit.“