Die Inflation ist zwar hoch – im Euroraum betrug sie im September 3,4 Prozent, in Deutschland sogar mehr als vier Prozent – doch 2022 werde sie wohl wieder sinken, versichert die EZB. Dieser Einschätzung kann sich der deutsche Ökonom Gunther Schnabl von der Uni Leipzig nicht anschließen. Dass die Preise weiterhin steigen werden, liegt seiner Meinung nach an drei Gründen, und für die ist nicht zuletzt die Geldpolitik der EZB selbst verantwortlich, wie Schnabl im eXXpress-Talk mit Stefan Beig unterstreicht.

Staatsverschuldung steigt, lockere Geldpolitik bleibt

Zunächst kauft die EZB Staatsanleihen, “sie überflutet damit die Geldmärkte mit viel billiger Liquidität, und das schlägt sich früher oder später in steigenden Preisen nieder.” Darüber hinaus bleibe auf der EZB der Zwang zum Kauf weiterer Staatsanleihen, weil die meisten Staaten des Euro-Raums sehr hohe Ausgabenlasten haben und hochverschuldet sind. Und schließlich wurden im Verlauf der Corona-Krise die Kontrollregeln – die  sogenannten Maastricht-Kriterien – außer Kraft gesetzt. “Ich erwarte nicht, dass die Regeln in dieser Form wiederkommen werden”, sagt Schnabl. “Damit ist sowohl der Raum für zusätzliche Staatsausgaben und für zusätzliche Staatsverschuldung gegeben, und damit auch zusätzlicher Druck für die EZB, die Geldmenge weiterhin auszuweiten.”

Pikant: Im vergangenen Jahr musste die EZB ihre Inflationserwartungen schon mehrmals nach oben korrigieren. Schnabl hält das für problematisch: “Es ist Aufgabe von Zentralbanken Inflationen vorausschauend zu erkennen und vorausschauend einzudämmen. Das kann ich nicht beobachten. Speziell die EZB läuft den Inflationsprognosen hinterher und passt sie den offiziell gestiegenen Inflationsraten an.”

Schwere Zeiten für die Mittelschicht

Allerdings hat die EZB schon vor der Corona-Pandemie eine expansive Geldpolitik im Zuge der Eurokrise verfolgt, und die hat sich damals nicht in höheren Konsumgüterpreisen niedergeschlagen. Schnabl zufolge liegt das zum einen daran, dass sich der Preisanstieg nur bei Gütern bemerkbar gemacht hat, die außerhalb des regulären Preisindex lagen: “Das sind insbesondere Vermögens- und Aktienpreise, sowie Preise für öffentliche Güter.” Darüber hinaus sei wegen der lockeren Geldpolitik – auch in den USA und Japan – sehr viel Kapital nach China abgeflossen. Dadurch konnte in China die Produktion von Gütern sehr günstig finanziert werden. Dank des Imports von Gütern aus China habe man in der Folge die Inflation drücken können. Dieser Spielraum dürfte nun erschöpft sein, meint Schnabl.

Gerade für die vielen Sparer im deutschsprachigen Raum sind das unheilvolle Prognosen, denn Schnabl rechnet mit steigender Inflation bei gleichzeitig anhaltender Null- und Negativzinspolitik durch die EZB. “Die Art wie Ersparnisse gebildet werden, hängt stark von vergangenen Inflationserfahrungen ab”, unterstreicht Schnabl. Vor dem Euro hatten Deutschland, Österreich und die Schweiz sehr geringe Inflationsraten. Deshalb habe es sich gelohnt in Bankeinlagen zu sparen, mit relativ gute Zinsen. Um Anlagestrategien musste man sich keine Sorgen machen. Das Sparbuch war die bevorzugte Form des Vermögensaufbaus der Mittelsicht in diesen Ländern.

Anders in Italien, wo es schon immer hohe Inflation gab, weshalb die Italiener eher dazu tendiert haben in Immobilien zu sparen. Unter der gegenwärtigen Geldpolitik leidet vor allem die heimische Mittelschicht, die mit risikoarmen Einlagen spart.

"Kostspielige Klima-Rettung folgt auf kostspielige Corona-Rettung"

Schnabl sieht das Kernproblem vieler Länder in der Euro-Zone – mittlerweile auch der nördlichen – in zu hohen Ausgabenverpflichtungen. Diese seien nur mehr mit Hilfe der Staatsanleihekäufe durch die EZB erfüllbar. “Wir beobachten keinen umfassenden Reformwillen, der die Ausgabenverpflichtungen reduzieren würde”, sagt der Ökonom. Im Gegenteil: Nun sind neue Ausgabenziele am Horizont: “Die kostspielige Klimarettung folgt auf die kostspielige Corona-Rettung.”

Damit verbunden ist die Frage: Wie können sich die hochverschuldeten Euro-Staaten von ihren Schulden je wieder befreien? “Die naheliegendste Lösung ist Inflation”, unterstreicht der Ökonom. So würden dann die Schuldenstände preisbereinigt. Deshalb könne man in der erhöhten Inflation auch eine Ausstiegsstrategie aus den hohen Schuldenständen sehen. Schnabl hält Inflation von fünf bis zehn Prozent über ein Jahrzehnt hinweg für ein durchaus realistisches Szenario. Danach wären die Schulden maßgeblich reduziert, und man könne wieder über eine preisstabile Geldpolitik nachdenken.

Die Inflation ist höher, als es der Preisindex suggeriert

Der offizielle Konsumentenpreisindex suggeriert Geldpolitik-Experten zufolge darüber hinaus eine geringere Verteuerung als tatsächlich stattfindet. Nicht werden Immobilien, steigende Aktien- und Goldpreise und steigende Preise für öffentliche Güter durch den Index nicht erfasst, auch werden bei Gütern und Dienstleistungen laufend die Preise verändert. Der Grund: die Qualitätsanpassung. Wenn sich die Qualität verbessert, ein Auto ein neues Feature hat, dann würden die statistischen Behörden die Preise entsprechend hinunter rechnen. Das werde vor allem bei Industrieprodukten schlagend. Verschlechterungen bei Dienstleistungen oder auch Lebensmitteln, die nicht mehr so nachhaltig produziert werden, würden aber andererseits nicht hochgerechnet in den Preise.

Prof. Gunther Schnabl hat den Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Leipzig inne und leitet dort das Institut für Wirtschaftspolitik. Er ist Experte für Geldpolitik und die japanische Volkswirtschaft. Vor seiner Berufung an die Universität Leipzig war er als Advisor bei der Europäischen Zentralbank tätig.

Schnabl war darüber hinaus Gastwissenschaftler an der Stanford University, der Katholischen Universität Leuven, der Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne, der Deutschen Bundesbank, der Bank of Japan, der Federal Reserve Bank of New York sowie der Europäischen Zentralbank.