Kein Blatt vor den Mund nimmt sich diesmal Rainer Will, Geschäftsführer des Wiener Handelsverbandes, im “Chefsache”-Talk mit eXXpress-Herausgeberin Eva Schütz. Zwar rechnet Will nach dem Aus für 2G im Handel mit einer Umsatzsteigerung um 200 Millionen Euro pro Woche, doch will er nicht vergessen, wie “katastrophal” die Monate zuvor mit den 2G-Kontrollen verlaufen sind.

Angestellte wurden beschimpft und bespuckt

Das Schlimme: Die Handelsangestellten mussten zum Zorn der Kunden selbst kontrollieren. “Nicht nur haben Ungeimpfte dem Handel die Schuld gegeben, auch Spontaneinkäufe von Genesenen und Geimpften sind weggefallen.” Aggressive Kunden hätten Verkäufer attackiert, Videos von den Kontrollen gemacht und diese auf Social Media geteilt. “Mitarbeiter wurden beschimpft und bespuckt.”

Es sei eine Zumutung, wenn Handelsangestellte zu Hilfssheriffs werden müssten für eine Maßnahme, die sie selbst nicht für gerechtfertigt halten. 2G bringe kaum etwas, wie auch der deutsche Virologe Christian Drosten festgehalten hat.

Höhere Lohnnebenkosten nur in Schweden & Frankreich

Kräftige Maßnahmen seien aber auch in der Post-Corona-Zeit erforderlich, im Sinne des Wirtschaftsstandorts Österreich, doch die fehlen auf weiter Flur. “Nur Schweden und Frankreich haben noch höhere Lohnnebenkosten, nur dort ist es noch teurer Mitarbeiter anzustellen. Alle wandern daher ab.” Hinzu kämen komplizierte Kollektivsvertragsregelungen und -zuschläge, die in Summe “fast einer Bibel ähneln, wenn man alle Regelungen kennt.”

Zurzeit seien die Lohnnebenkosten ein massiver Wettbewerbsnachteil. “Ein Lager kann überall stehen. Die Mitarbeiter müssen eben leistbar bleiben. Es bleibt zu wenig Netto vom Brutto. Daran ändert auch die öko-soziale Steuerreform nur wenig.” Und: “Wir haben einen gefräßigen Staat, der die Hälfte wegfrisst, ohne die Gegenleistung zu erbringen, die man sich von diesem Statat erwartet.”

Kammern müssen reduziert werden

Auch im staatsnahen Bereich gelte es anzusetzen und besonders bei den Kammern, die redimensioniert werden müssten. Teils betragen die Kammernbeilagen das Zehnfachen gegenüber anderen Ländern. Ein Problem der heimischen Interessensvertretungen sei, dass hier “sehr stark politische Motive vorherrschen und die Anliegen der Firmen nicht so gebündelt sind. Da wird gepackelt und akkordiert. Das schadet der gesamten Republik, siehe Postenschacher.” Gerade für junge Unternehmer bleibe zu wenig Luft.

Die Sozialpartnerschaft habe in der Corona-Zeit auch nicht vor Streiks bewahrt. “Davon erleben wir zurzeit so viel wie noch nie. Da ändert die Sozialpartnerschaft gar nichts.” Jede Partei müsste nun in ihrem Bereich einen ersten Schritt setzen, zwecks Redimensionierung der Sozialpartner.

Der Handel ist das "Stiefkind der Politik"

Auch im Sinne des heimischen E-Commerce sollte man aktiv werden. “Wir sollen selber guten E-Commerce machen.”

Der Handel sei bisher das “Stiefkind der Politik”. Industrie, Tourismus und Gastronomie würden bevorzugt. “Tourismusministerin Elisabeth Köstinger scheint in den Händlern ohnehin nur mehr die Totengräber zu sehen.” Die ÖVP müsse sich nun klar zum Handel bekennen, und entsprechende Rahmenbedingungen umsetzen. Bisher sei für den Wirtschaftsstandort eigentlich nichts geschehen. Es gebe zwar Strategien, doch für die fehlt das Geld.