Von einem russischen Terroranschlag berichtet am 1. Mai der Sicherheitsdienst der Ukraine – kurz SBU (für “Sluschba bespeky Ukrajiny”) – , der nun verhindert werden konnte. Eine russische Sabotage-Aufklärungsgruppe soll sich im Land befunden haben. Von ukrainischen Einheiten soll sie aufgespürt und ausgeschaltet worden sein. Die geheim agierende Gruppe habe den Auftrag gehabt, ein Passagierflugzeug über Russland oder Weißrussland mit einem von den USA entwickelten Stinger-Luftabwehrsystem abzuschießen. Danach hätte der Kreml den Terroranschlag der Ukraine und ihren Verbündeten in die Schuhe geschoben.

Abschuss über russischem oder weißrussischem Gebiet

Wörtlich heißt es in der Meldung des Sicherheitsdienstes: “Der SBU hat eine groß angelegte Spezialoperation durchgeführt, bei der er eine gut ausgebildete feindliche Sabotage- und Störungsgruppe neutralisiert hat. Die Agenten des Generalstabs der russischen Streitkräfte planten einen terroristischen Akt: Sie wollten ein Passagierflugzeug über russischem oder weißrussischem Gebiet abschießen.”

Der SBU zeigt ein Foto von der Verhaftung der drei mutmaßlichen Agenten

Die Agententruppe habe den Auftrag erhalten, die tragbaren Flugabwehrsysteme zu stehlen und über die Grenze zu transportieren. “Um die Provokation zu begehen, wollten die Angreifer ein tragbares Boden-Luft-Raketensystem (kurz: MANPADS, für “Man Portable Air Defense System”) vom Typ Stinger auf das zivile Flugzeug abfeuern.”

Koordiniert von russischem Generalstab

Die Agentengruppe bestand nach Angaben des Nachrichtendienstes aus zwei Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft und einem von ihnen angeworbenen Mitarbeiter. Koordiniert wurde die Tätigkeit demnach von dem Russen Oleksandr Tjuterev, einem Mitarbeiter in der Hauptdirektion des Generalstabs der russischen Streitkräfte. Wegen der der Planung einer Reihe von Terroranschlägen in der Region Odessa war gegen ihn bereits ermittelt worden.

Oleksandr Tjuterev soll der Organisator der Spionageaktion gewesen sein

Die Agenten hatten sich dem SBU zufolge als “patriotische Freiwillige” getarnt und so Kontakte zu ukrainischen Streitkräften geknüpft. Um “vertrauensvolle” Beziehungen aufzubauen, versorgten sie das ukrainische Militär mit zuverlässigen Informationen über die Positionen und Bewegungen der Besatzungseinheiten der sogenannten “Kadyrowiten” (pro-russische tschetschnische Kämpfer). Über die so entstandenen Kontakte wollten sie MANPADS erwerben und dann an Russland weitergeben, berichtet der SBU. Doch das hat eine Einsatzgruppe des SBU verhindert. Sie hat bei der Sonderoperation alle Mitglieder der Sabotagegruppe festgenommen.

298 Passagiere starben beim Malaysia-Airlines-Flug 17

Nicht zum ersten Mal hätte Russland in diesem Fall eine Operation unter falscher Flagge (false flag operation) durchgeführt. Der Plan erinnert an den bis heute nicht restlos geklärten “Malaysia-Airlines-Flug 17”. Am 17. Juli 2014 war ein Linienflug der Malaysia Airlines von Amsterdam nach Kuala Lumpur abgestürzt. Es war eine der größte Flugzeugtragödien überhaupt: Alle 298 Passagiere, darunter 80 Kinder, starben. Die Trümmer gingen nahe der Stadt Tores in der Ostukraine nieder, verstreut über eine Fläche von 35 Quadratkilometern.

Das Wrack des Malaysia-Airlines-Flugs MH17 wird der Presse während der Präsentation des Abschlussberichts über die Absturzursache auf dem Luftwaffenstützpunkt Gilze Rijen am 13. Oktober 2015 vorgestellt.APA/AFP PHOTO/EMMANUEL DUNAND

Eine Untersuchung ergab: Das Flugzeug wurde durch eine aus Russland stammende Flugabwehrrakete des Typs Buk M1 abgeschossen. Die Ermittlungen wurden allerdings durch den Krieg, der bereits im Osten der Ukraine tobte, erschwert. Die Buk-Rakete soll von russischen Streitkräfte stammen, die den Raketenwerfer in ein von prorussischen Rebellen kontrolliertes Feld gebracht haben. Das Untersuchungsteam identifizierte etwa 100 Menschen, die an dem Transport des Raketenträgers und dem Abschuss beteiligt waren.

Russland blockierte danach die Einrichtung eines UNO-Tribunals. Nun sollen die mutmaßlichen Täter in den Niederlanden vor Gericht gestellt werden, zwei weitere offene Verfahren sind vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation anhängig.

Trauer: Menschen legten am 18. Juli 2014 vor der niederländischen Botschaft in Kiew Blumen nieder und zündeten Kerzen an, einen Tag nachdem der Flug MH17 der Malaysian Airlines mit 295 Menschen an Bord abgestürzt ist.APA/AFP PHOTO/ SERGEI SUPINSKY

Aktionen unter falscher Flagge sind eine reale Gefahr

Manche Beobachter rechnen mit weiteren solchen Aktionen. Denkbar wären auch Anschläge auf europäischem Boden, für die sich danach Russland und die Ukraine wechselseitig beschuldigen. Im März hatte es eine Drohne aus der Ukraine bereits bis nach Kroatien geschafft und war in Zagreb abgestürzt – der eXXpress berichtete. Unklar ist bis heute, ob Russland oder die Ukraine dahinterstecken, ungeklärt ist auch, ob die Aktion geplant oder ein Versehen war.

Kroaten mustern die Einschlagsstelle der Drohne: Zum Glück kam niemand ums Leben.

Die russische Mission der OSZE macht unterdessen auf ein weiteres Risiko aufmerksam: “Der unkontrollierte Umlauf der an Kiew gelieferten Waffen, einschließlich MANPADS und anderer Raketensysteme, wird in Zukunft eine Bedrohung für die europäische Sicherheit darstellen, auch für den zivilen Verkehr”, unterstreicht sie in einem Tweet. Man sieht: Es gibt ausreichend Anhaltspunkte für beide Kriegsparteien, um solche Anschläge dem jeweils Anderen in die Schuhe zu schieben.