Wer die Aussagen des ehemaligen Schweizer Geheimdienstoffiziers, NATO-Beraters und Buchautors (“Operation Z”), Jacques Baud, auf dem Investigativ-Portal Grayzone liest, dürfte die Welt wohl nicht mehr verstehen. Seine Äußerungen passen nämlich so gar nicht in jenes Bild, das im Westen vom Krieg in der Ukraine, insbesondere aber von Russland und Kreml-Chef Wladimir Putin gemalt wird. Mit anderen Worten: Bauds Darstellung des Ukrainekriegs widerspricht der Berichterstattung der meisten westlichen Mainstream-Medien völlig.

Gleich vorweg stellt Baud im Interview mit Grayzone klar: „Alle Informationen, die wir über die Ukraine haben, ich kann sagen, alle, 100 Prozent der Informationen, die in den Mainstream-Medien erscheinen, kommen von der ukrainischen Propaganda. Ich meine damit die Zahlen, die Zahl der Verletzten, der Todesopfer, der Zwischenfälle, einfach alles.“ Das ist aber bei weitem nicht die einzige Aussage, bei der sich so einige die Augen reiben dürften.

Erstens: In den USA und im Westen ist es fast schon ausgemachte Sache, dass Putin im Ukrainekrieg Atomwaffen einsetzen wird. Baud jedoch widerspricht dem: „In seiner Rede vom 21. September hat Putin nicht ausdrücklich mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht.“ Der Kreml-Chef habe lediglich damit gedroht, “alle uns zur Verfügung stehenden Waffensysteme“ einsetzen zu wollen, falls “die territoriale Integrität unseres Landes bedroht wird“. Dazu gehören laut Baud vor allem Hyperschall- und Mehrsprengkopfraketen, nicht aber Atomsprengköpfe.

Liz Truss würde nicht davor zurückschrecken, den Atomknopf zu drückenAFP

Liz Truss zu Atomschlag gegen Russland: „Bin bereit, das zu tun“

Der Sicherheitsexperte machte auch darauf aufmerksam, dass Russland beim möglichen Einsatz von Nuklearwaffen eine „No First Use“-Politik habe, das heißt, bei einem militärischen Konflikt würde Putin sicher nicht als Erster auf den Atomknopf drücken. Anders die USA: US-Präsident Joe Biden sei von dieser „No First Use“-Politik im Fall der USA in diesem Jahr abgerückt. Washington halte sich einen Atomerstschlag also offen. Und noch etwas: Der engste Verbündete der USA, Großbritannien, ist offenbar auch bereit, gegen Russland im Ernstfall zu einem Nuklearschlag auszuholen. Laut Jacques Baud hat die britische Premierministerin Liz Truss dies eindeutig bestätigt. In einem Interview mit Times-Radio sagte sie: „Ich bin bereit, das zu tun.“

Zweitens: Den USA und Großbritannien sei es seit Ausbruch des Krieges mehrmals gelungen, einen Friedensschluss zwischen der Ukraine und Russland zu vereiteln. Schon im März, also kurz nach Kriegsbeginn, seien Putins Worte in den westlichen Mainstream-Medien auf taube Ohren gestoßen, wonach die Ukraine und Russland „sehr, sehr nahe an einem Friedensabkommen“ seien. Die Ukraine sei damals von den USA und vom Westen bedrängt worden, einen Kompromiss mit Russland auszuschlagen. Baud verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es bisher insgesamt drei Versuche gegeben habe, einen Frieden zwischen Russland und der Ukraine herbeizuführen – allesamt wurden jedoch von den USA und dem Westen im Keim erstickt.

Boris Johnson flog zwei Mal nach Kiew, um Selenskyj auf die Fortsetzung des Kriegs einzuschwören

Boris Johnson: Kein Raum für Friedensverhandlungen, "wir müssen kämpfen“

Den ersten Versuch habe es schon einen Tag nach Kriegsausbruch gegeben, also am 25. Februar. Wie Baud sagt, wurde der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj von der EU aber zurückgepfiffen, schließlich war schon ein „Hilfspaket“ von 450 Millionen Euro für Waffen geschnürt worden. Bei einem zweiten Anlauf im März war es ähnlich, so Baud. Doch wieder seien Waffenlieferungen des Westens – diesmal in Höhe von 500 Millionen – unterwegs gewesen.

Der damalige britische Premier Boris Johnson (2019-2022) sei sogar eigens nach Kiew geflogen, um auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj einzuwirken und einen Friedensdeal zu verhindern. Bei einem dritten Anlauf habe der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ein Friedensabkommen einfädeln wollen. Doch auch hier habe Boris Johnson dazwischengefunkt. Nachdem er „unerwartet“ nach Kiew geflogen sei, habe Johnson bei einer Pressekonferenz in der ukrainischen Hauptstadt dezidiert klargestellt: „Keine Verhandlungen mit den Russen. Wir müssen kämpfen. Es gibt keinen Raum für Verhandlungen mit den Russen“. Damit dürfte er auch stellvertretend für die USA und Europa gesprochen haben.

Der Westen hat sich mit seinen Sanktionen völlig verkalkuliert

Drittens: Laut Baud wird die Ukraine vom Westen zynisch missbraucht. Der Ukrainekrieg laufe aus Sicht des Westens einzig und allein darauf hinaus, Russland in die Knie zu zwingen und wirtschaftlich ausbluten zu lassen. Und die Ukraine? „Um die kümmert sich in Wirklichkeit niemand“, so Baud. Sie werde in erster Linie für die strategischen Interessen der USA instrumentalisiert. Dabei hätten sich die USA und der Westen jedoch ziemlich verkalkuliert. Denn: „Das ursprüngliche Ziel war es ja, Russland zu provozieren, um seine Wirtschaft durch Sanktionen zerstören zu können.“

Das Problem sei aber nun, dass die Sanktionen ins Leere gelaufen seien. Es sei angenommen worden, dass Russland unter ihnen rasch zusammenbrechen würde, erklärt Baud. Russland sei wider Erwarten nicht kollabiert und kämpfe munter weiter. Der ehemalige Geheimdienstoffizier bringt die Sanktionspolitik des Westens auf den Punkt: „Wir haben Sanktionen über Sanktionen über Sanktionen verhängt, ohne dass dies etwas gebracht hätte.“ Sein Fazit: Der Westen sei „Opfer seines eigenen Irrtums“ geworden. Mehr noch: Großer Verlierer sei jenes Europa, das derzeit in einer Energie- und Wirtschaftskrise versinke. Der größte Leidtragende sei aber die Ukraine, die auf dem Reißbrett des Westens bloßes Bauernopfer sei.

Sicherheitsexperte Jacques Baud rückt im Hinblick auf den Ukrainekrieg das Bild im Westen zurecht