Die russischen Invasion in der Ukraine hat Europas Sicherheitsordnung auf den Kopf gestellt. Nochmals brisanter geworden sind für den Westen nun die zahlreichen Spionageaktivitäten des Kremls in Europa. Viele Länder sind zurzeit noch immer damit beschäftigt, Moskaus verdeckten Aktivitäten auf ihrem Boden überhaupt erst nachzuspüren. Eine besonders zentrale und somit problematische Rolle spielt laut Insidern dabei Österreich.

Jahrelange zögerte der Westen, russische Aktivitäten zu verfolgen

“Was wir wissen, ist mit Sicherheit nur die Spitze des Eisbergs”, sagt Keir Giles vom Russland-Programm der britischen Denkfabrik Chatham House. “Viele Jahre lang hat es eine Verschwörung des Schweigens gegeben, bei der die westlichen Mächte gezögert haben, über russische Aktivitäten zu sprechen oder sie gar zu verfolgen.”

Schon in der Nachkriegszeit tummelten sich in Wien Agenten. Im Bild: Orson Welles in "Der Dritte Mann" (1949.Getty

Österreich ist ein “wahrer Flugzeugträger” für verdeckte russische Aktivitäten, meint ein Geheimdienstler gegenüber der “Financial Times”. Ein Diplomat in Wien erinnert daran, dass Österreichs ehemaliges Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) erst kürzlich eine Zeit lang von sämtlichen europäischen Geheimdienstaktivitäten ausgeschlossen war, weil er als so kompromittiert galt. Österreichs Verteidigungsministerium sei “praktisch eine Abteilung des russischen Militärgeheimdienstes GRU”.

Salzburger Offizier versorgte Russland jahrzehntelang mit sensiblen Informationen

Das Bundeskanzleramt will anonyme Vorwürfe nicht kommentieren, weist aber auf die umfassende Reform der Regierung hin. Mit 1. Dezember 2021 wurde das BVT aufgelöst und in die neu geschaffene Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) überführt.

Dass Österreichs Behörden in der Vergangenheit unterwandert wurden, kam bereits ans Tageslicht. Manches davon klingt nach einem Spionage-Thriller. Ende 2018 flog etwa ein Salzburger Offizier (70) auf. Wie dabei enthüllt wurde, war er bereits 1988 vom russischen Geheimdienst angeworben worden und hatte den Kreml jahrzehntelang mit hochsensiblen Informationen aus dem Bundesheer versorgt. Für seinen Spionage-Job hat er mehr als 300.000 Euro erhalten. Den entscheidenden Hinweis auf ihn haben die heimischen Behörden von einem befreundeten ausländischen Dienst erhalten.

Berichte über Österreichs Artillerie und Eurofighter

Schlicht Haarsträubendes kam damals zum Vorschein: Der Tatverdächtige hielt alle zwei Wochen Kontakt zu seinem russischen Kontaktmann “Juri”. Seine Nachrichten verfasste er in einer Geheimschrift oder gab die Infos per Satellitenkommunikation direkt an die Russen durch. Der Offizier hatte die Aufgabe, möglichst viele vertrauliche Fakten über Österreichs Luftwaffe, die Artilleriesysteme und über die Lagebriefings zu übermitteln. Auch nach seiner Pensionierung mit 65 Jahren ging der Informationsfluss weiter.

Österreichs Eurofighter: Was weiß der Kreml?APA/BUNDESHEER/HÖRL

So hat der Salzburger etwa detaillierte Persönlichkeitsprofile über Mitglieder der Armeeführung per Satellitenkommunikation weitergegeben. Großes Interesse hatte die russische Seite etwa am Artilleriesystem M109: Diese Panzerhaubitze kann Feuerabgabe und Stellungswechsel schneller als andere Systeme durchführen. Nicht minder interessant waren für sie Österreichs Eurofighter. Diese nutzen für Navigation, Funkverschlüsselung und Freund-Feind-Erkennung Krypto-Schlüssel, die von US-Experten der Defence Security Cooperation Agency (Sitz im Pentagon) vergeben werden. Allerdings soll der Verdächtige zu diesen Daten keinen Zugang gehabt haben.

Mehrere Länder weisen bereits russische Diplomaten aus

“Langsam sehen wir, dass die Regierungen in Europa beginnen, sich öffentlich mit den Vorgängen auseinanderzusetzen”, sagte Giles von Chatham House. Auch in anderen Ländern sind dabei bereits Spionage-Umtriebe der Russen aufgedeckt worden.

Am 14. März wurden drei russische Diplomaten aus der Slowakei ausgewiesen. Zu ihren Rekruten gehörten unter anderem ein slowakischer Oberst und ein hoher Beamter der Spionageabwehr. Es waren nicht die einzigen Ausweisungen im vergangenen Monat. Die drei baltischen Staaten und Bulgarien kündigten die Ausweisung von insgesamt 20 mutmaßlichen russischen Agenten an. Polen erklärte 45 russische Diplomaten zu personae non gratae, da sie unter dem Deckmantel der Diplomatie nachrichtendienstliche Tätigkeiten verrichten haben sollen.

Drei Arten von russischen Agenten sind in Europa aktiv

Russland beschäftigt in seinen drei wichtigsten Geheimdiensten rund 400.000 Mitarbeiter. Die “Hauptdirektion” des Verteidigungsministeriums – bekannt noch unter ihren Initialen aus der Sowjetzeit GRU – hat primär Interessen an Nato-Angelegenheiten und Militärtechnologie sowie an Subversion und Sabotage. Der Inlandsgeheimdienst FSB konzentriert sich primär auf Russland, aber sein “fünfter Dienst” sammelt Informationen aus dem nahen Ausland, einschließlich der Ukraine. Der SVR, der Nachfolger der ersten Hauptabteilung des KGB, ist ausschließlich mit der Sammlung ausländischer Informationen befasst.

Westliche Beamte unterscheiden drei Arten von russischen Agenten: deklarierte Agenten, die oft Rollen wie Verteidigungsattachés bekleiden und für den GRU arbeiten; nicht deklarierte Agenten, die vom SVR als Teil einer Handelsdelegation getarnt werden können; und illegale Agenten, die als Schläfer tief verdeckt arbeiten.