
Georg Kindel über Michail Gorbatschow: Er starb einsam in der Klinik
Er nahm über 30 Kilo ab, wurde mehrfach operiert und verbrachte die letzten zweieinhalb Jahre seines Lebens – auch aus Angst vor Corona – in einer Moskauer Klinik. So starb der letzte Präsident der Sowjetunion, der den Kalten Krieg beendete.
Er war einer der größten Reformer des letzten Jahrhunderts, der den Kalten Krieg beendete, Millionen Menschen die Freiheit schenkte und ohne den es den Fall der Berliner Mauer nicht gegeben hätte: Michael Gorbatschow, 91, der letzte Präsident der Sowjetunion, starb am Dienstag Abend kurz vor 22 Uhr im Central Clinical Hospital (CCH) in Moskau.
Aus Angst vor Corona zweieinhalb Jahre in der Klinik
Gorbatschows letzte Jahre waren – vor allem durch Corona – von Einsamkeit geprägt. Seit Beginn der Pandemie vor zweieinhalb Jahren lebte er völlig abgeschirmt von der Öffentlichkeit in einem separaten Block des CCH. Eine Vorsichtsmaßnahme, denn durch seinen schlechten Allgemeinzustand – er litt seit langem an Diabetes – und sein Alter war die Sorge groß, dass er eine Coronainfektion wohl nicht überleben würde.
In der Klinik wohnte und arbeitete er, rund um die Uhr bewacht von zumindest drei Sicherheitsleuten, ehemaligen KGB-Agenten. Sein Apartment wirkt nicht wie ein Krankenzimmer: Schwere dunkelbraune Holztüren, freundliche hellgelbe Wände, an der Wand ein Flatscreen-TV, Kommoden mit Bildern seiner Tochter Irina Virganskaya (65) und von seinen beiden Enkelinnen sowie Urenkeln.

Auch im hohen Alter las Gorbatschow viel, ließ sich Zeitungen und Magazine bringen und ging meist spät schlafen. Er klagte aber schon längere Zeit über Appetitlosigkeit und verlor über 30 Kilo Gewicht. Doch bis zum Schluss war er geistig voll da, verfolgte die Ereignisse in der Ukraine – und schwieg.
Gorbatschow bekam offiziell nur 2 Euro Pension
Früher war der letzte Präsident der Sowjetunion bis zu 200 Tage im Jahr auf Reisen. Doch seit ihm seine Gesundheit immer mehr zu schaffen machte, musste er dies zur Gänze einstellen. Die meisten Büros seiner Gorbatschow-Stiftung am Leningradsky Prospekt, die früher auf mehreren Etagen zahlreiche Mitarbeiter und sein monumentales Archiv beherbergten, sind längst vermietet. Mit seinen Vortragsreisen und zahlreichen Buchveröffentlichungen finanzierte Gorbatschow seine Stiftung – und sein Leben. Denn vom russischen Staat bekam er ursprünglich nur umgerechnet 2 (!) Euro Pension pro Monat, weil aus unerfindlichen Gründen seine Pensionsansprüche nicht an die Inflation angepasst, also nicht indexiert wurden. Ob für diesen „Fehler“ sein großer Gegenspieler Boris Jelzin verantwortlich war, wollte er nicht sagen.
Mit den Mitarbeitern seiner Stiftung kommunizierte Gorbatschow während der gesamten Pandemie nur mittels Videokonferenzen und Telefon, selbst seine einst engsten Vertrauten durften ihn nicht mehr besuchen. Täglich fuhr ein Bote der Stiftung zu Gorbatschow, gab Unterlagen und Dokumente für ihn ab und nahm andere von ihm wieder mit. Nur seine Tochter Irina Virganskaya, die Vizepräsidentin der Gorbatschow Stiftung, kam immer wieder in die Klinik, manchmal auch mit ihren beiden Töchtern.
Vor der Pandemie lebte er in einer schmucklosen Datscha
Die Zeit vor der Pandemie lebte Gorbatschow in seiner zweistöckigen Datscha in Kolchuga bei Moskau, die ihm lebenslang vom russischen Staat zur Verfügung gestellt wurde, mit persönlichem Fahrer, Köchin und seinen Leibwächtern. Ein schmuckloses Haus, das sehr an den sowjetischen Baustil der 1960er-Jahre erinnert, nur ein großer Balkon lässt es freundlicher erscheinen.
Soweit es seine Gesundheit zuließ, machte Gorbatschow am liebsten ausgedehnte Spaziergänge. Als er mit seiner 1999 an Krebs verstorbenen Frau Raisa noch in Stawropol lebte, gingen sie oft kilometerlang spazieren. Auch mit Ende 80 zog sich Gorbi seine Mütze tief ins Gesicht, die sein rotes Feuermal auf der Stirn verdeckte, eine Sonnenbrille auf, und marschierte durch die Straßen. Nur selten wurde er so auch erkannt. Während er weltweit als Held der Freiheit und des Friedens gefeiert wurde, machten ihn die meisten Russen für den Untergang der Sowjetunion als Großmacht verantwortlich.

Er vertraute deutschen Ärzten am meisten
Wenn es um seine Gesundheit ging, vertraute Gorbatschow deutschen Ärzten mehr als russischen. Alle seine großen Operationen ließ er in München machen, 2006 an der inneren Halsschlagader in der Universitätsklinik Großhadern, 2011 an der Wirbelsäule in der Schön Klinik. Er erholte sich dann meist in seiner Villa in Rottach-Egern am Tegernsee, wo er immer wieder längere Zeit lebte. In Bayern fühlte sich Gorbatschow sehr wohl.
Das Haus mit 570 Quadratmetern Wohnfläche und einem Nebengebäude bot Gorbatschow den Lebensstil, den er so in Moskau nicht hatte. Seit 2015 war er immer seltener dort, seine Tochter nutzte das Hubertus-Schlössl noch hin und wieder, dann versuchte man es um sieben Millionen Euro zu verkaufen, nahm es schließlich wieder vom Markt, bis sich 2019 ein Käufer – zu einem geringeren Preis – fand.

Mit dem Verkauf des Hauses fehlte Gorbatschow auch sein deutsches Rückzugsgebiet. Seine Tochter Irina, die viele Jahre in Berlin-Schulzendorf lebte, soll Deutschland ebenfalls verlassen haben, aber mittlerweile wieder in Berlin leben. Gorbatschow zog zur Gänze in seine Datscha, eine herrschaftliche Moskauer Wohnung, die ihm damals auch noch gehörte, verkaufte er.
Nun ist Gorbatschow mit 91 Jahren gestorben. Ein Mann, der die Welt veränderte wie kaum ein zweiter, hat diese für immer verlassen. Sein Vermächtnis bleibt – und ist in Zeit wie diesen wichtiger denn je.
Kommentare
Die letzten Kommentare Gorbatschows über den Westen und die Rolle der deutschen Medien wird interessanterweise immer weggelassen. Und ja, Gorbatschow wurde vom Westen hereingelegt und das was heute passiert, sind die Folgen der Fehler von damals. Er ist jetzt den drei Verrätern – Jelzin, Krawtschuk, und Schuschkewitsch – nachgegangen.
natürlich ist Gorbatschow gerade für die deutsche Wiedervereinigung eine zentrale Figur. Aber dennoch muss man den Gesamtkontext sehen – den man zB auch bei der Bewertung von Putin in der aktuellen Lage ausblendet. Und so wie Putin zwar kein Sympathieträger aber auch kein Gottseibeiuns ist, war Gorbatschow eben auch kein Alleinheiliger und sicher bis zu einem gewissen Grad Produkt der Umstände: ein erzkonservativer Ronald Reagan, der mit dem Wettrüsten die nicht konkurrenzfähige UDSSR in die Seile schickte, unterstützt von einer stahlharten Thatcher. Der ganze damalige Ostblock war angezählt gegen Ende der 80er. Weiters ein Helmut Kohl, der ein geschickter Taktiker war.
Wahrscheinlich ist es mit ein Verdienst von Gorbatschow, dass der taumelnde Zyklop UDSSR nicht im Fallen wild um sich schlug. Aber man muss eben die gesamte Lage sehen und nicht immer alle Entwicklungen 1. nur aus der Gegenwart heraus und 2. nur aus einem Blickwinkel analysieren….
Er machte diesen EU Beitritt 1995 erst möglich und gehört deshalb zu den größten Politverbrechern dazu! Nur viele kapieren es nicht, was dieser Mann angerichtet hat, das wird jetzt erst langsam spürbar! Es gibt überhaupt keinen Grund, ihm für irgendetwas dankbar zu sein, im Gegenteil!
Was genau hat er verbrochen? Politisch. Meine ich….
Politverbrecher sind jetzt in Moskau an der Macht….
wer häuft denn da als „russischer Führer“ Milliarden an und ist für den Tod Tausender Verantwortlich und träumt vom großen russischen Reich
Gorbatschow hat viel dazu beigetragen, dass es viel Hoffnung in der Welt gab. Ein großer Mann, dem zu wenig gedankt wurde.
Sein Friedensnobelpreis wurde im Angesicht von Obamas nur beschmutzt und noch viel schändlicher ist es, dass wir es verschlafen haben Putin in jungen Jahren an uns zu binden und somit Gorbatschow’s Lebenswerk verkommen ist. Heute leben wir in der Realität auch unserer Versäumnisse.
Es wäre schön, wenn sein Tod, Anlass geben würde, für etwas mehr Frieden in der Welt zu sorgen.
Ohne Zweifel sind ihm die Deutschen zu Dank verpflichet, denn ohne ihn hätte es keine friedliche Wiedervereinigung gegeben. Als Kulturvolk sollten sie ihm ein Denkmal setzen, statt den Russenhass zu kultivieren.
Wir haben jeden Anlass, diesem großartigen Menschen dankbar zu sein. Leider haben wir die Chancen, die sich nach dem Niedergang der UDSSR für eine friedliche Koexistenz auf dem Eurasischen Kontinent aufgetan haben, nun restlos verspielt und sind wir in unserer arroganten Tugendbesoffenheit auch noch stolz darauf. Was sind wir bloß für eine dumme und historisch ungebildete Generation…