Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) möchte auf die von Bundeskanzler Kurz gestartete Umweltschutz-Verzichtsdiskussion nicht einsteigen, „ich kann mit der Diskussion relativ wenig anfangen”, sagte Gewessler am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. Gewessler verweist auf die Umweltschutzvorhaben der Bundesregierung: Die Bewältigung der Klimakrise sei eine „große Verantwortung“, die der Bundesregierung obliegt, damit „wir in Österreich noch ein gutes Leben haben können 2040, 2050. Dafür müssen wir jetzt etwas tun.” Mit Bundeskanzler Kurz ist sie in der Hinsicht im Einklang, dass es Innovationen im Bereich des Umweltschutzes erfordert wird, „von altem Denken bremsen lassen“ dürfe man sich gerade jetzt nicht.

Kontroverse Verkehrsinfrastruktur-Projekte

Seit die Prüfung der Asfinag-Neubauprojekte publik wurde, weht Gewessler heftiger politischer Gegenwind aus den Bundesländern entgegen. Schon vor zwei Wochen hatte sich Kurz an die Seite der Länder gestellt: “Wir brauchen eine gute Infrastruktur, gerade im ländlichen Raum”, argumentierte der Kanzler, er sei “sehr optimistisch, dass sich der Hausverstand durchsetzen wird”, denn es handle sich ja um langjährige Projekte.

Auch bei seinem jüngsten Besuch in Vorarlberg stellte sich Kurz nun gegenüber dem ORF im Zusammenhang mit der Bodensee-Schnellstraße S18 wieder offen gegen die Umweltministerin seiner Koalition: “Das Projekt ist schon lange geplant, es ist schon lange versprochen und es muss auch durchgeführt werden.”

Während Gewessler jedenfalls den Verkehr als großes Sorgenkind sieht, meinte Kurz, “dass es vollkommen falsch wäre zu glauben, dass wir das Klima in Zukunft dadurch retten können, dass wir uns nur noch im Verzicht üben”, denn “der einzig richtige Zugang” sei, auf Innovation und Technologie zu setzen. “Der Verzicht auf Mobilität, der Verzicht zum Arbeitsplatz zu fahren und auf Individualverkehr, das wird nicht funktionieren”, befand er in den “VN”. “Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass unser Weg zurück in die Steinzeit sein sollte. Ich halte weder etwas von der ständigen Politik des erhobenen Zeigefingers noch von Fantasien, dass man irgendwie leben könnte wie im vergangenen Jahrhundert.”

Klimaschutz sei keine Ideologie

Befeuert wurde die Debatte jedenfalls nicht nur von den Ländern und Teilen der Opposition, sondern auch vom Koalitionspartner im Bund selbst: So richtete Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) seiner Grünen Regierungskollegin im Radio aus, dass er Verständnis dafür habe, “wenn bei manchen der Eindruck entsteht, dass es hier weniger um sachliche Überprüfung und Verbesserungsmöglichkeiten, sondern mehr um Ideologie geht”. “Klimaschutz ist keine Ideologie, Klimaschutz ist ein Fakt”, konterte Gewessler. Kurz rief in weiterer Folge nach dem “Hausverstand”, sein türkiser Staatssekretär in Gewesslers Haus, Magnus Brunner, legte noch ein Schäuflein nach und warf der Ressortchefin “Verunsicherung” durch ihre “Alleingänge” vor. “Bei Infrastrukturprojekten sitzen immer sehr viele Interessen am Tisch – regionale, überregionale, die Interessen der Wirtschaft. Und mit mir sitzen jetzt auch der Klimaschutz und der Umweltschutz am Tisch”, gab sich Gewessler nach außen dennoch unbeeindruckt.

Symbolische Mehrheit für Entschließungsantrag

Seine Fortsetzung fand der Konflikt im Parlament, und zwar zunächst im sonst öffentlich eher wenig beachteten Bundesrat. Dort wurde das Thema vergangenen Donnerstag mittels Dringlicher Anfrage der FPÖ an Gewessler am Köcheln gehalten. Das wäre per se noch kein Aufreger, ebenso wenig wie der – unverbindliche – Entschließungsantrag des steirischen SPÖ-Bundesrats Horst Schachner, der Gewessler auffordert, den “Umsetzungsstopp für alle sehr wichtigen Projekte auf Autobahnen und Schnellstraßen” sofort zurückzunehmen. Unerwarteterweise und von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt fand der Antrag allerdings eine Mehrheit, weil nicht nur SPÖ und FPÖ dafür stimmten, sondern entgegen der Koalitionslinie auch die Vorarlberger ÖVP-Bundesrätin Christine Schwarz-Fuchs. In dem Entschließungsantrag ist die S18 freilich gar nicht in der Liste der betroffenen Projekte angeführt. Ob es sich um ein Versehen oder einen rebellischen Akt handelte, ist nicht überliefert – im türkisen Klub soll man dennoch nicht erfreut gewesen sein, ist zu hören.

Zwar hat die Mehrheit für den Entschließungsantrag im Bundesrat keine praktischen Auswirkungen, symbolisch schaut die Sache aber natürlich ungünstig aus und stieß den Grünen offensichtlich sauer auf. So drängten die Grünen denn auch darauf, im Nationalrat am vergangenen Montag einen weiteren Entschließungsantrag einzubringen, der von Gewessler eben eine Prüfung von Alternativen zur Vorarlberger S18 fordert. Der Entschließungsantrag wurde letztlich gemeinsam von Grünen und ÖVP eingebracht. Auch die beiden Vorarlberger VP-Mandatare stimmten mit, wenn auch zähneknirschend. “Der Antrag wurde der ÖVP von den Grünen regelrecht abgenötigt in Zusammenhang mit dem Misstrauensantrag gegen Finanzminister Gernot Blümel in derselben Sitzung”, rechtfertigte sich der Vorarlberger Abgeordnete Karlheinz Kopf danach. Der Grüne stellte einen solchen Zusammenhang in Abrede. Gewessler begrüßte am Donnerstag explizit den “deutlichen Auftrag” des Parlaments zur Prüfung des Schnellstraßen-Vorhabens in Vorarlberg. “Ich halte mich daran, das Parlament ernst zu nehmen und werde das natürlich auch machen.”

Zwischenparteiliche Konflikte

Einen Koalitionskrach nach dem anderen ortete dagegen SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch in einer Aussendung. “Kurz macht die Grünen mit seinem Steinzeit-Sager lächerlich, während die Grünen durch ihre Blockade längst geplanter Projekte provozieren”, die Bevölkerung werde “durch diese absurden Machtspiele verunsichert”. Der SPÖ-Bundesgeschäftsführer sieht die Regierung jetzt gefordert, “endlich in die Gänge zu kommen und wieder für Österreich statt gegeneinander zu arbeiten”.

Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) meinte bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Gewessler, die Debatte sei keine große Belastung für die türkis-grüne Koalition. Es funktioniere trotz Meinungsverschiedenheiten ganz gut. Man werde in “den nächsten Monaten und Jahren konstruktiv zusammenarbeiten”. (apa/red)