Was sich am Sonntag an Bord einer Boeing 737 der irischen Fluggesellschaft Ryanair ereignete, sorgte international für großes Aufsehen. Die Passagiermaschine mit rund 100 Passagieren an Bord befand sich auf dem Weg von Athen in die Litauische Hauptstadt Vilnius. Kurz vor dem Verlassen des weißrussischen Luftraums wurde der Pilot unter Drohungen und Einsatz eines weißrussischen Kampfjets von der Luftraumbehörde zur Landung gezwungen.

Bombenwarnung nur ein Vorwand

Unter dem Vorwand, eine Bombe befände sich an Bord und müsse in Minsk entschärft werden, landete die Maschine und Behörden der weißrussischen Flughafenpolizei betraten das Flugzeug. Nachdem Gepäck auf Sprengstoff untersucht wurde und die Crew das Flugzeug verlassen musste, offenbarte sich der wahre Grund der „Flugzeugentführung.“ Die Polizeibeamten hatten es nicht auf Sprengstoff, sondern auf den bekanntesten Oppositionellen des Landes, Roman Protassewitsch, abgesehen. Er und seine Freundin Sofia Sapega, eine 23-jährige Jus-Studentin, wurden kurz nach der Landung aus dem Flugzeug gebracht. Mehrere Passagiere veröffentlichten Schnappschüsse und kurze Videos auf Social Media, auf denen Protassewitsch kreidebleich und zitternd zu sehen ist. Zu einer Flugbegleiterin meinte er noch: „Wenn ihr mich ausliefert, werden sie mich töten.“ Zwei Tage lang fehlte von dem 26-jährigen Blogger und seiner Freundin jede Spur. Nun werden beide im berüchtigten Foltergefängnis Okrestina in Minsk vermutet.

Geständnisvideo aufgetaucht

Montag Nacht tauchte ein „Geständnisvideo“ auf. Auf diesem ist ein sichtlich mitgenommener Roman Protassewitsch zu sehen, der erschöpft die Worte „Ich kooperiere mit den Ermittlern und lege Geständnisse über die Organisation von Massenunruhen in der Stadt Minsk ab” von sich gibt. Sein Vater sagte Dienstagmorgen gegenüber Reuters, er sei sich sicher, dass sein Sohn zu dem Geständnis gezwungen worden sei. In dem Video erkenne man, dass Roman eine gebrochene Nase habe und die linke Gesichtshälfte mit Puder abgedeckt wurde. Der Vater widersprach dem Geständnis seines Sohnes vehement: „Mein Sohn kann nicht zugeben, dass er die Massenunruhen verursacht hat, weil er so etwas einfach nicht getan hat.“ Lukaschenko habe hier ein Zeichen setzen wollen: „Ich denke, was passiert ist, war ein Akt der Rache, um andere aufzuklären: Schauen Sie, was wir tun können“, sagte er. „Das ist totaler Wahnsinn.“ Auch seine Mutter äußerte sich besorgt und sagt in einem Interview mit dem Spiegel: „Ich gehe davon aus, dass sie mit unserem Kind das Schlimmste anstellen.“  Protassewitsch‘ Eltern leben aufgrund der politischen Verfolgung seit Jahren in Polen.

Das ist das letzte Foto, das von Protassewitsch vor der Festnahme gemacht wurde.telegram

Roman Protassewitsch gilt seit seiner Jugend als regimekritisch. Mit 17 wird er das erste Mal festgenommen, weil er zwei Lukaschenko-kritische Gruppen auf Social Media betreibt. Er wird von den Behörden laut eigenen Aussagen so übel zusammengeschlagen, dass er drei Tage Blut im Urin hat. Außerdem soll damit gedroht worden sein, ihm würden ungelöste Mordfälle angehängt werden, wenn er nicht mit seiner Regimekritik aufhöre. Nach dem abgebrochenen Journalismusstudium in Minsk muss Protassewitsch ins Exil, er lebt seit 2019 in Polen und Litauen. Zu dieser Zeit beginnt er, für den einflussreichsten oppositionellen Nachrichtenkanal Weißrusslands, Nexta, zu arbeiten. Nexta hat über eine Million Leser und soll eine zentrale Rolle bei der Organisation der Massenproteste gegen Lukaschenko im letzten Jahr gespielt haben. Auf dem Online-Medium werden regelmäßig Fotos und Videos, die die Ungerechtigkeit und Behördenwillkür zeigen, veröffentlicht. Die weißrussischen Behörden versuchen seit Jahren, Foren und Social Media-Portale in Weißrussland zu kontrollieren. Dies ist auch einer der Gründe, warum die seit 2020 betriebene Telegramseite belamova, zu einer der Hauptinformationsquellen des Protestes für junge Menschen in Weißrussland wird – auf dieser postete bis zuletzt auch Protassewitsch.

Lukaschenko kann sich auf Unterstützung Russlands verlassen

Erst am Montag unterzeichnete Lukaschenko einen Erlass, dass das Internet „im Falle einer Gefahr“ landesweit komplett abgeschaltet werden könne.

„Lukaschenko ordnet seinem Machterhalt alles unter. Er kümmert sich nicht um die wirtschaftlichen Folgen“, sagt der Minsker Politologe Waleri Karbelewitsch gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Die nun drohenden neuen Sanktionen des Westens ließen den 66-Jährigen kalt. Zudem könne sich Lukaschenko komplett auf seinen starken Nachbarn Russland verlassen.

Was Roman Protassewitsch genau vorgeworfen wird, unter Einsatz welcher Druckmittel er das Geständnis ablegte und wieso seine 23-jährige Freundin ebenfalls im Foltergefängnis Okrestina festgehalten wird, ist noch unklar.