Haltung schlägt Geschäftssinn: Ullstein nimmt Buch von Trump-Verbündetem aus dem Programm
Der Ullstein-Verlag hat die Memoiren des US-Vizepräsidentschaftskandidaten J.D. Vance aus dem Programm genommen – und räumt tatsächlich politische Gründe ein.
In “Hillbilly Elegy” schilderte Vance seine Kindheit und Jugend in einer weißen Unterschichtfamilie des Rust Belt. Das Buch wurde 2016 zum Verkaufsschlager, erklomm die Spitze der “New-York-Times“-Bestsellerliste und stand dort im Januar 2017 erneut auf Platz eins. Im selben Jahr erschien es in deutscher Übersetzung bei Ullstein und soll sogar Kanzler Olaf Scholz “zu Tränen gerührt” haben. In dem Werk geht um den Verlust des amerikanischen Traums und die Umstände, die die Arbeiterschicht bewegen, Trump zu wählen.
Gegen das Buch an sich hat man auch bei Ullstein nichts zu sagen. Es ist allein die Tatsache, dass der Autor inzwischen Donald Trumps “Running Mate“ ist und sich anschickt, Vizepräsident der Vereinigten Staaten zu werden, die den Verlag bewogen hat, das inzwischen ausverkaufte Buch nicht mehr aufzulegen und den Lizenzvertrag mit J.D. Vance nicht mehr zu verlängern.
Ein Trumpist passt nicht in die "Vielfalt" des Verlagsprogramms
“Zum Zeitpunkt des Erscheinens”, so der Verlag, „lieferte das Buch einen wertvollen Beitrag zum Verständnis des Auseinanderdriftens der US-Gesellschaft”. Heute nicht mehr? Schon, aber anders als damals distanziert sich Vance nicht mehr von Trump, im Gegenteil. Dass der Autor seine politischen Ansichten geändert hat, wird ihm in Deutschland übelgenommen.
Will man sich von einem möglichen Vizepräsidenten – und, wer weiß, irgendwann sogar Präsidenten – distanzieren? Fürchtet man eine Kontaktschuld, die Leser von den Werken des Verlags fernhalten könnte? Oder beugt man sich vorsorglich vor möglicher Kritik, noch bevor sie geäußert wird? Jedenfalls passt dieser Schritt nicht zu einem Verlag, der sich selbst so vorstellt:
“Heute vereinen die Ullstein Buchverlage vielfältige, relevante Stimmen unter einem Dach. Unsere Autor:innen sind den Werten einer demokratischen, diversen, gerechten Gesellschaft verpflichtet. Gerade in politisch bewegter Zeit bieten sie gedankliche Anregung, Orientierung, Zerstreuung und Schönheit”.
Ullstein steht mit Haltungsschaden da
Als relevante Stimme sollte ein amerikanischer Vizepräsidentschaftskandidat schon gelten, und zur beschworenen Vielfalt trüge ein solches Buch gewiss bei. Aber das “virtue signalling” des Verlags wiegt offenbar schwerer als die verlegerisch gebotene weitere Publikation, denn ein Bestseller dürfte das Buch bleiben. Nun hat der Kleinverlag “YES Publishing” die Lizenzen erworben und wird mit dem Buch seinen Reibach machen, während Ullstein mit Haltungsschaden dasteht.
Seit 1903 prägt die heilige Eule der Athene die Bücher des Ullstein-Verlags, denn im alten Griechenland galt die Eule als Vogel der Klugheit und Weisheit. Ob die Entscheidung, “Hillbilly-Elegie” aus dem Programm zu nehmen, klug und weise war, darf mit Recht bezweifelt werden.
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