Nach 250 Tagen Krieg in Europa ist die Situation für die Ukraine dramatisch – seit 10. Oktober laufen Angriffe der russischen Streitkräfte auf die kritische Infrastruktur des 35-Millionen-Einwohner-Landes und sorgen für schwere Zerstörungen.

“Aktuelle Satellitenbilder zeigen, dass es in der Ukraine schlicht und ergreifend immer finsterer wird im Vergleich zu den Ländern rund herum. Nach 250 Tagen ist die Lage im Krieg um die Ukraine von weiteren verheerenden Eskalationen geprägt. Dazu zählen in den letzten Wochen mehrere gegenseitig durchgeführte spektakuläre Angriffe. Diese lassen erkennen, dass eine Befriedung des Konflikts in naher Zukunft ausgeschlossen werden kann”, analysiert Ukraine-Experte und Garde-Kommandant Oberst Markus Reisner die aktuelle Lage.

Oberst Markus Reisner, Kommandant der Garde und Bundesheer-Experte für den Konflikt in der Ukraine

Russische Truppen graben sich in Stellungen ein

Und der Heeres-Experte analysiert weiter: “Die in der Ukraine verbliebenen 35 Millionen Menschen stehen vor einem harten Winter mit ungewissem Ausgang. Mitte Oktober erfolgte bei Kiew ein erster Angriff auf das ‘zentrale Nervensystem’, die 750-kV-Leitungen. Diese führen von den restlichen neun vorhandenen Reaktoren in den drei aktiven Kernkraftwerken weg und speisen über sieben zentrale Umspannwerke die 330-kV-Leitungen. Die Zerstörung der Umspannwerke und der zentralen 750 kV Leitung hätte verheerende Folgen.”

Gleichzeitig bereite die ukrainische Armee noch vor dem Wintereinbruch eine Offensive vor, sagt Oberst Reisner: “Die Ukraine versucht im Verborgenen eine dritte Offensive voranzutreiben. Ein Stoß aus dem Raum ostwärts des Dnepr-Knies und Zaporozhye in Richtung Melitopol und Asowsches Meer. Würde er gelingen, wäre die gesamte russische Kräftegruppierung im Raum Cherson, Zaporozhye und auf der Krim vor dem Winter von der Versorgung abgeschnitten. Im Moment versuchen die russischen Kräfte die ukrainischen Bereitstellungen mit Artillerie, ‘Kamikaze’-Drohnen und Luftstreitkräften zu zerschlagen. Die Ukraine setzt dagegen eigene weitreichende Artillerie (darunter aus den USA gelieferte HIMARS-Systeme), GEPARD-Flugabwehrpanzer und S300 Fliegerabwehrbatterien ein. Es ist eindeutig erkennbar, dass Russland sich entlang des von ihm besetzten Gebiets zur Verteidigung eingräbt. Im Donbass und Cherson sind umfangreiche Schanzarbeiten erkennbar. Die Russen sind offensichtlich gekommen um zu bleiben.”

Verteidigungsminister Sergei Shoigu berichtete kürzlich vom demnächst bevorstehenden Eintreffen von 82.000 russischen Soldaten an der Ukraine-Front.

Im Gegensatz zu vielen Meldungen in westeuropäischen Medien sei die Moral der russischen Truppen “nicht gebrochen”, meint der Bundesheer-Experte: “Ein Zusammenbruch der Moral ist, trotz aller im Westen gezeigten gegenteiligen Videos, noch nicht erkennbar. Die Teilmobilisierung ist trotz anfänglicher gravierender Missstände angelaufen. Im Dezember und Jänner werden die Masse der Mobilisierten in den Kampfräumen eintreffen und dort das seit Februar bestehende Hauptdefizit der russischen Streitkräfte, den Mangel an Infanterie, ausgleichen. Darauf muss sich die Ukraine einstellen.”

Eine weitere Offensive der Ukrainer wird erwartet - jetzt toben Artillerie-Duelle.