Seit geraumer Zeit wird in der österreichischen Innenpolitik viel geweint. Das Original des tränenreichen Zusammenbruchs vor laufenden Kameras ist Stefan Petzner, der nach der tödlichen Promille-Amokfahrt seines Ziehvaters Jörg Haider ein Interview gab, bei dem er förmlich im eigenen Augenwasser ertrank.

In seine Fußstapfen trat Jahre später Heinz-Christian Strache, der, nachdem er mit Hilfe einer schändlichen Medienaktion auf Ibiza als Vizekanzler abgeschossen worden war, bei seiner Abschiedspressekonferenz die Emotionen nicht mehr kontrollieren konnte und in Tränen zerfloss. Dazu läuft übrigens noch immer ein parlamentarisches Kasperltheater, das sich „Ibiza-Untersuchungsausschuss“ nennt, aber eigentlich nur mehr dafür verwendet wird, um eine unschöne, vor allem aber völlig unpolitische Treibjagd gegen den Bundeskanzler und sein Umfeld zu veranstalten, bei der es nur mehr um die persönliche Diskreditierung eines überlegenen politischen Gegners geht. Politisch hat man den Türkisen offenbar nichts entgegenzusetzen.

Gewesslers Tränen waren berechtigt

„Beidl-Gate“, eine Aktion, von einem PR-Rambo kreiert, der in der Politikberater-Szene hinter vorgehaltener Hand als „der Mann fürs Grobe“ bezeichnet wird, war der vorläufige Höhepunkt der Geschmacklosigkeit eines politischen Treibens, bei dem vor allem die Ausschussmitglieder der Neos und der SPÖ nicht begriffen zu haben scheinen, dass das Wort Stil nicht den Holzgriff am Bartwisch bezeichnet, sondern zivilisiertes zwischenmenschliches Betragen meint.

Geweint hat auch Rudolf Anschober bei seiner Abschiedspressekonferenz als Gesundheitsminister. Hinter den Fassaden der Türkis-Grünen Regierung, so berichten Auguren, war er selbst einer der wenigen, die diesen Abgang betrauerten.

Interessant ist, dass vor allem das sogenannte starke Geschlecht immer häufiger die Kontrolle über seine Emotionen verliert. Die letzte Frau, der vor der Kamera die Tränen kamen, war Leonore Gewessler, aber bei ihr war der Anlass, die immer brutaler und zahlreicher werdenden Frauenmorde, tatsächlich zum Heulen.

Die Männer der Politik sind keine Helden mehr

Es stellt sich die Frage, warum heult der Mann, und zwar öffentlich? Warum hatte selbst ein mit allen Wassern gewaschener europäischer Spitzenmanager wie Christian Kern Tränen in den Augen, als er als SPÖ-Vorsitzender abging? Das große Werk, das er nicht mehr weiterführen konnte und der Verlust der Gemeinschaft der gleichgesonnenen Idealisten, kann es wohl nicht gewesen sein, denn weder existiert in der Gegenwartspolitik das epochale Werk, noch gibt es Gemeinschaftlichkeit in einer politischen Partei, im Gegenteil, dort wird eher die Kultur des Computerspiels „Assassins Creed“ gepflogen.

Der wahre Grund der Weinerlichkeit ist, dass die Männer der Politik keine Helden mehr sind, wie es vielleicht Bruno Kreisky, Olaf Palme, Helmut Kohl oder Hans-Dietrich Genscher waren, die ihr gesamtes authentisches Ich aus Überzeugung und der Sache wegen in die Waagschalen der Politik geworfen haben und dabei auch das kapitale Scheitern riskierten. Die heute agierenden Postheroen sind ganz anders gestrickt. Im Gegensatz zu den alten Haudegen sind sie keine Helden, sondern lediglich Heldendarsteller. Genauso wenig am Theater der Mime König Lear ist, sind die Manager und Politiker der Gegenwart echte Manager und Politiker. Sie sind Darsteller, die eine Rolle spielen und die narzisstisch gekränkt sind, wenn ihnen das Publikum nicht mehr applaudiert oder sie sogar auspfeift. Deswegen das pathetische heulende Elend beim Abgang. Es ist die letzte große Inszenierung eines narzisstischen Selbst, bevor es in der Versenkung verschwindet, das Selbstmitleid des gekränkten Operetten-Buffos, den das Publikum nicht mehr lustig und unterhaltsam findet.

Auch Ludwig biss sich an Rendi-Wagner die Zähne aus

Den Willen zur Macht, den die Männer verloren haben, haben die Frauen gefunden. Politiker- und Managerinnen sind weitaus taffer, resilienter, durchsetzungsfähiger und sie sind Persönlichkeiten und keine Kunstfiguren. Angetrieben von Überzeugung und Gestaltungswillen, werfen sie auch nicht frühzeitig die Nerven weg, bleiben gefasst und gelassen, selbst wenn ihnen der Gegenwind scharf ins Gesicht bläst.

Bestes Beispiel dafür ist Angela Merkel. Sie hat alle ihre männlichen Kontrahenten taktisch über den Tisch gezogen und ausgesessen. Übrig geblieben ist eine Ansammlung von Hampelmännern, von denen nun einer, Armin Laschet, mit ihrer Erlaubnis ihr Nachfolger sein darf. Wieder ein falscher Mann mehr am falschen Platz. Oder Sarah Wagenknecht, wohl eine der letzten Intellektuellen in der Parteipolitik, die sich niemals öffentlich als heulendes Opferbündel präsentiert, selbst wenn sie gerade aus dem Burnout kommt. Und genau betrachtet, ist auch Pamela Rendi-Wagner eine der neuen starken Frauen. Sie hat den Angriff der West-Achse, den Zusammenschluss der Blinden unter den Einäugigen in der SPÖ und die Attacke des mächtigen niederösterreichischen Vorsitzenden Franz Schnabl überlebt, der einen seiner Nationalräte verkünden ließ, dass nun das Ende der ersten Frau an der Spitze der SPÖ gekommen wäre. Was dann folgte, war nichts. Rendi-Wagner stellte den Mann kalt, bevor dieser seinen Feldzug überhaupt richtig beginnen konnte. Und auch Michael Ludwig, der die überfallsartig angekündigte Mitgliederbefragung der Bundespartei nicht wollte, mit der sich die Parteichefin bis ans Ende aller Tage an der Parteispitze einzementierte, biss sich an ihr die Zähne aus. Er soll in seinem Büro im Rathaus getobt haben. Mehr aber auch nicht. Rendi-Wagner hat zweifellos den Willen zur Macht, ist nervenstark und nahezu schmerzbefreit. Könnte sie auch eine Partei führen und hätte sie politische Kompetenz, wäre sie eine Idealbesetzung.

Der Jugendforscher und eXXpress-Kolumnist Bernhard Heinzlmaier untersucht seit mehr als zwei Jahrzehnten die Lebenswelt der Jugend und ihr Freizeitverhalten. Er kennt die Trends, vom Ende der Ich-AG bis zum neuen Hedonismus und Körperkult, bis zu Zukunftsängsten im Schatten von Digitalisierung und Lockdown. Heinzlmaier ist Mitbegründer und ehrenamtlicher Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung. Hauptberuflich leitet er das Marktforschungsunternehmen tfactory in Hamburg.